Das große Thema unserer Zeit – Transformation – wäre auch ohne die Corona-Pandemie als solches virulent geworden. Die pandemiebedingte Krise hat den Blick dafür aber in extremer Ausprägung geschärft: Unsere Wirtschaft wie auch die Gesellschaft als Ganzes stehen vor enormen Transformationsherausforderungen. Die fünf Megatrends unserer Zeit – Globalisierung, Digitalisierung, Neo-Ökologie, Komplexität und das neue Thema der Pandemien und Naturkatastrophen – verlangen nach tiefgreifenden Veränderungen. Und mit Blick auf die Zeitachse – beispielhaft beim Klimaschutz mit der Perspektive Klimaneutralität bis zum Jahr 2045 – wird die Größe der damit zusammenhängenden Aufgaben deutlich. Der Schlüssel zur Bewältigung und – noch entscheidender – zur Wahrnehmung der enormen Chancen, die in diesen Veränderungsprozessen liegen, ist Innovation. Die Innovationskraft der Unternehmen und die diese befördernden Rahmenbedingungen von Politik und Verwaltung werden entscheidend sein für wirtschaftlichen Erfolg und gesellschaftlichen Fortschritt.
Eine Innovationspolitik, die die genannten Megatrends aufnimmt, setzt auf Ermöglichung, auf Stärkung von Forschung und Transfer und – Stichwort Komplexität – auf den Abbau von bürokratischen Hemmnissen.
In der aktuellen pandemiebedingten Krise rücken diese Themen nicht nur stärker ins Bewusstsein, sondern erfahren auch neue Möglichkeiten der Bearbeitung: Krisenzeiten können als Treiber der Transformation wirken. In Teilen sehen wir dies auch bereits – etwa bei der Digitalisierung, die im Rahmen der pandemiebedingten Einschränkungen deutlich an Schub gewonnen hat. Der Kurs für den wirtschaftlichen Aufbau muss deshalb ein innovationsorientierter Ansatz sein, der Unterstützungsmaßnahmen mit Fortschritten bei Technologieentwicklung, Digitalisierung und Klimaschutz verbindet. Auch die europäischen Wiederaufbaugelder zielen auf diese neo-ökologische und digitale Transformation ab. Diesen Prozess wollen wir in Nordrhein-Westfalen sehr aktiv mitgestalten, beispielsweise auch im Rheinischen Revier, das sich als Innovation Valley Rheinland zur europäischen Modellregion für den Green Deal entwickeln soll.
Bei allen aktuellen Turbulenzen müssen wir auch und gerade angesichts der zu erwartenden Folgen der Corona-Krise für unsere Unternehmen wirtschafts- und technologiepolitisch klaren Kurs halten. In einer Zeit, in der die globalisierten Märkte einem raschen Wandel unterliegen, der Innovationszyklen auf ein Maximum beschleunigt und den Vorsprung einzelner Akteure binnen weniger Monate nahezu uneinholbar machen kann, kristallisiert sich die Innovationskraft als der Faktor heraus, der maßgeblich über Erfolg oder Scheitern entscheidet.
Ein Erfolgsrezept für Innovation gibt es nicht, sehr wohl aber gibt es Impulsgeber und Beschleuniger für den Fortschritt. Dazu gehört die Künstliche Intelligenz (KI) mit ihrem disruptiven Potenzial.
Künstliche Intelligenz als Innovationstreiber
Künstliche Intelligenz gilt zu Recht als Schlüsseltechnologie für Wettbewerbsfähigkeit im nationalen und internationalen Kontext. Einer Hochrechnung von eco e.V. in Kooperation mit Arthur D. Little zufolge beliefe sich das wirtschaftliche Potenzial von KI für die deutsche Wirtschaft auf etwa 488 Milliarden Euro im Jahr 2025 – einen umfassenden Einsatz der Technologie vorausgesetzt. Dies wäre eine Steigerung des Bruttoinlandsprodukts um 13 Prozent im Vergleich zu 2019.
Die rasant wachsende Rechenkapazität sowie die Datenverfügbarkeit durch die zunehmende Digitalisierung der Wirtschaft machen den beispiellosen technologischen Fortschritt überhaupt erst möglich. Wir befinden uns mitten im „KI-Sommer“: Künstliche Intelligenz hat in vielen Funktionsbereichen in Unternehmen unter Beweis gestellt, wie sie unmittelbar zu inkrementeller, also schrittweiser Innovation beitragen kann. Produktionsprozesse oder Lieferketten werden optimiert, Ressourcen effizienter eingesetzt und Produkteigenschaften verbessert.
Künstliche Intelligenz hat aber auch das Potenzial für echte Disruption, die die etablierten Märkte gänzlich umbricht. Solche disruptiven Innovationen haben wir beispielsweise beim Medienkonsum – dem Musik- oder Filmstreaming – erlebt. Die Bandbreite erprobter KI-Methoden und eine Rechenleistung, die perspektivisch vervielfacht wird, bergen eine große Chance: innovative Lösungen auch für die drängenden gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit zu entwickeln. Themen wie Energiewende, Mobilität, Gesundheit oder Klimaschutz und Klimafolgenanpassung können neu angegangen und mit wirtschaftlichem Fortschritt verknüpft werden. Einige Produkte und Geschäftsmodelle werden dank KI-Technologien überhaupt erst möglich. Wir befinden uns also in einem spannenden Prozess, in dessen Entwicklung wir beobachten, wie etablierte Unternehmen und Start-ups die neuen Spielräume für sich nutzen werden.
Exzellente Ausgangsposition in Nordrhein-Westfalen
Die starke nordrhein-westfälische Unternehmerschaft ist transformationserfahren und -begeistert und kann sich technologisch auf eine ausgezeichnete Ausgangsposition stützen: eine dichte Hochschullandschaft, exzellente Forschungseinrichtungen, die den internationalen Vergleich nicht zu scheuen brauchen, sowie das Kompetenzzentrum Maschinelles Lernen Rhein-Ruhr (ML2R) als einem von sechs bundesweiten Knotenpunkten, die die Entwicklung der KI und des Maschinellen Lernens in Deutschland auf ein weltweit führendes Niveau bringen. Hinzu kommen zahlreiche Transferzentren, die dafür sorgen, dass die technologische Exzellenz auch wirtschaftlich wirksam wird. Diese Transferzentren werden unterstützt durch die Digital Hubs, die teilweise im Rahmen der Initiative „Digitale Wirtschaft NRW“ von der Landesregierung unterstützt werden. Die Digital Hubs widmen sind insbesondere der Zusammenarbeit zwischen Start-ups und dem Mittelstand und bieten Unterstützungsleistungen für die Start-ups an. 2020 wurde eine „AI Masterclass“ ins Leben gerufen, um Gründerinnen und Gründer aus ganz NRW im Bereich der Künstlichen Intelligenz ganzheitlich zu betreuen und zu fördern.
Vor dem Hintergrund des notwendigen Technologietransfers haben wir als Landesregierung Ende 2018 die Kompetenzplattform Künstliche Intelligenz Nordrhein-Westfalen – kurz: KI.NRW – gegründet. Das Ziel ist, die in NRW traditionell starke KI-Forschung als Marke zu etablieren und das Land an die Spitze der bundesweiten KI-Exzellenz zu führen. Ein wesentlicher Hebel sind dabei Leuchtturmprojekte: Als Landesinitiative bildet KI.NRW das Dach für maßgebliche KI-Projekte in Nordrhein-Westfalen und sichert ihre Sichtbarkeit über Landesgrenzen hinaus. Hierbei sollen Partner aus Wirtschaft und Wissenschaft zu einem Ökosystem verzahnt werden, um gemeinsam Innovationen in den unterschiedlichen Handlungsfeldern zu realisieren. Das Erfolgskonzept der Flagship-Projekte funktioniert insbesondere in forschungs- und entwicklungsintensiven KI-Anwendungsgebieten.
Dazu zwei Beispiele: Im Rahmen des Leuchtturmprojekts „SmartHospital.NRW“ an der Universitätsmedizin Essen wird in einem beispiellosen Transformationsprozess die traditionelle Universitätsmedizin zu einer digitalisierten, auf Patienten sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fokussierten Organisation. Im Zuge des Projekts werden gezielt Anwendungen für den Klinikalltag entwickelt, die beispielsweise auf KI-Methoden wie Spracherkennung, Wissensextraktion aus Texten oder Mustererkennung zur Automatisierung und Effizienzsteigerung von klinischen Prozessen basieren. Solche intelligenten Krankenhäuser der Zukunft können als Blaupause für weitere innovative Transformationsprozesse im Gesundheitswesen dienen.
Ein weiteres Flagship-Projekt nimmt Künstliche Intelligenz als Enabler für die Mobilität von Morgen ins Visier. Bei „Bergisch.Smart.Mobility“ werden in einem Reallabor greifbare, digitale Lösungen für innovative Mobilitätskonzepte entwickelt. Die Einsatzmöglichkeiten von KI sind dabei vielfältig: Die Technologie kann im Bereich adaptiver Verkehrsflusssteuerung unterstützen, in multimodalen Verkehrsservices integriert sein oder einen wesentlichen Bestandteil des hochautomatisierten oder autonomen Fahrens ausmachen.
Stärken im Fokus
Die genannten Projektbeispiele lenken den Blick auf das Innovationspotenzial, das in ausgewählten Wirtschaftsclustern in Nordrhein-Westfalen steckt. Es würde eine große Kraftanstrengung kosten, den Vorsprung der US-amerikanischen Internetplattformen wie Google, Amazon oder Facebook im Business-to-Consumer-Bereich aufzuholen. In vielen Branchen, in denen Deutschland und auch Nordrhein-Westfalen traditionell stark sind, läuft der Innovationsmotor Künstliche Intelligenz allerdings erst an. Die Chancen sind immens, diese Wirtschaftscluster nachhaltig im globalen Wettbewerb zu stärken und mit Hilfe neuer, innovativer Geschäftsfelder resilienter gegenüber Krisen zu machen. Wo, wenn nicht im bevölkerungsreichen, forschungs- und innovationsstarken Nordrhein-Westfalen, können schlagkräftige KI-Ökosysteme aus Industrieunternehmen, Universitäten, Start-ups und Einrichtungen aus der angewandten Forschung entstehen, um Innovationen im Business-to-Business-Bereich zu treiben?
In der zweiten Phase des „KI-Sommers“, also nach dem ersten euphorischen Aufschwung der Technologie, geht es nun um Qualitätssicherung und Skalierung. Mit dem gleichen Elan, der einst die deutsche Ingenieurskunst als Weltmarke zu etablieren half, kann jetzt das Feld der datengetriebenen Dienstleistungen und Geschäftsmodelle aktiv gestaltet werden. Die Vision: Präzise Hochleistungssensorik und leistungsstarke Maschinen werden mit intelligenten KI-Systemen „made in Germany“ kombiniert. Der hohe Qualitätsanspruch, der bei Maschinen oder Fahrzeugen an den Tag gelegt wird, muss auch für KI-Systeme gelten, die hierzulande entwickelt werden: Sie sind transparent und vertrauenswürdig, laufen robust, respektieren die Sicherheitsstandards und wahren den Datenschutz. Dazu braucht es überprüfbare technische Standards und Normen, die eine neutrale Bewertung der Systeme ermöglichen. Nordrhein-Westfalen leistet mit dem KI.NRW-Flagship-Projekt „Zertifizierte KI“ einen maßgeblichen Beitrag zur unabhängigen Zertifizierung von KI-Systemen: einem Gütesiegel „KI made in Germany“, welches das Vertrauen in moderne IT-Technologie international stärkt.
Einen weiteren Baustein auf dem Weg zu mehr Innovation durch KI stellt das Projekt GAIA-X dar, welches den Zugang zu einer sicheren europäischen Digitalinfrastruktur ermöglicht. Die zielgerichtete Digitalisierung unserer Wirtschaft und Gesellschaft sorgt für ein exponentielles Wachstum der nutzbaren Daten. Nie zuvor war es so wichtig, Maßstäbe für digitale Souveränität zu setzen – sowohl im Hinblick auf Daten, als auch im Hinblick auf Infrastrukturen. In Zusammenarbeit mit der International Data Spaces Association wird nun eine Struktur zum souveränen Datenmanagement und Austausch von Daten für KI-basierte Geschäftsmodelle etabliert. Von den 22 Gründungsmitgliedern sind sechs in Nordrhein-Westfalen ansässig. Unser Land arbeitet somit aktiv an der Ausgestaltung eines branchenübergreifenden, digitalen und europäischen Datenökosystems.
Fortschritt im Gleichklang mit Cybersicherheit
Der datengetriebene Fortschritt muss mit Sicherheitsfragen in Gleichklang gebracht werden: Dem Ausbaustand der Digitalisierung muss der Ausbaustand der Cybersecurity entsprechen. Nur wenn Daten und Kommunikationswege sicher und vertrauenswürdig sind, können auch sensible Informationen miteinander geteilt werden. Dazu sind Investitionen in technisches Equipment, aber auch das Knowhow aller Betroffenen notwendig. Die Rahmenbedingungen, um dieser Herausforderung zu begegnen, sind in Nordrhein-Westfalen außerordentlich gut: Im Bereich der Cybersicherheit verfügen wir über exzellente Forschungs- und Transferstrukturen. Mehr als 700 Forscherinnen und Forscher im Bereich der IT-Sicherheit, verteilt auf 30 Hochschulen sowie außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, sowie über 400 IT-Sicherheitsunternehmen sind in unserem Land tätig.
Die im Aufbau befindliche Koordinierungsstelle Cybersicherheit wird zentral für die Verbesserung des IT- und cybersicherheitstechnischen Austausches innerhalb der Landesregierung zuständig sein sowie als zentrale Servicestelle der Landesregierung nach außen wirken. Wir verbinden damit das Ziel, uns themenübergreifend noch besser zum Thema Cybersicherheit aufzustellen und im Bedarfsfall die Reaktionsfähigkeit zu verbessern. Mit dem ebenfalls im Aufbau befindlichen Kompetenzzentrum „Cybersicherheit in der Wirtschaft NRW“ stellen wir eine Anlaufstelle für Prävention, Detektion und Reaktion rund um das Thema digitale Sicherheit zur Verfügung.
Quantum Computing am Horizont
Die nächsten technologischen Entwicklungen zeichnen sich bereits ab: Im Stillen vollzieht sich eine weitere Revolution durch die Möglichkeiten des Quantum Computings. Quantencomputer basieren ihre elementaren Rechenschritte auf quantenmechanischen Zuständen – den Qubits. Dadurch arbeiten sie simultan, berechnen die möglichen Lösungen gleichzeitig, während klassische Computer eine Aufgabe nach der anderen angehen. Zahlreiche Aufgaben im Bereich Big Data, KI und Maschinelles Lernen sind aktuell noch mit hohem Zeit- und Rechenaufwand verbunden. Manche von ihnen sind so komplex, dass ihre Berechnung mit heutigen Kapazitäten Jahre brauchen würde. Quantencomputer werden schneller Lösungen finden als Digitalcomputer. Schreibt man die Entwicklungen der letzten zwanzig Jahre fort, lässt sich abschätzen, dass Quantencomputer in ungefähr zehn Jahren die nötige technologische Reife und Rechenkapazität haben werden, um eine wichtige Rolle in der Kette der Wertschöpfung zu spielen, so die Studie „Quantum Machine Learning“ der Fraunhofer-Allianz Big Data und Künstliche Intelligenz. Es lohnt sich, frühzeitig die Möglichkeiten zu sondieren, die durch die Verbindung der Schlüsseltechnologien Quantum Computing und Machine Learning entstehen werden, um Innovationspotenziale zu nutzen.
Innovation als Chancengarantie
Wenn wir, um im Bild zu bleiben, im „KI-Sommer“ die enormen Chancen für die Anwendung Künstlicher Intelligenz erkennen, so muss unser Ziel sein, in vielen Bereichen den „Innovationsfrühling“ zu befördern. Die großen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen sind nur mit einer ambitionierten innovationspolitischen Agenda zu bewältigen. Die Erkenntnis „Innovation ist keine Garantie gegen das Scheitern. Ohne Innovation ist das Scheitern jedoch garantiert.“ wollen wir positiv wenden: Mit der Unterstützung von klugen Köpfen und guten Ideen – zum Beispiel mit unserer Initiative Neue Gründerzeit NRW und unserem dynamischen Start-up-Ökosystem –, der Förderung von Wissens- und Technologietransfer – zum Beispiel mit der Unterstützung von kleinen und mittleren Unternehmen bei ihrer Innovationsfähigkeit durch das Projekt NRW.Innovationspartner – und der Begleitung unserer starken Industrieunternehmen auf ihrem Weg zur Klimaneutralität – zum Beispiel mit der neuen Landesgesellschaft NRW.Energy4Climate – fokussieren wir gemeinsam mit Wissenschaft und Wirtschaft die Chancen einer dynamischen Zeit.
Sehr interessanter Beitrag