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Gründungen mit Migrationsbezug: Besonders innovativ, aber unterschätzt

Gründer:innen mit Migrationshintergrund sind besonders innovativ. Ihre Unternehmen bringen zudem großes Wachstumspotenzial mit. Das zeigt eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung und des ZEW.

Gründungen mit Migrationsbezug sind besonders innovativ: Im Vergleich zu anderen jungen Unternehmen haben sie eine um 14 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit, mit weltweit neuartigen Produkten oder Dienstleistungen auf den Markt zu gehen. Auch die Bereitschaft zu Forschung und Entwicklung liegt höher. Das zeigt der Innovationsmonitor Migration der Bertelsmann Stiftung und des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW).

Gleichzeitig sehen sich die Gründer:innen überproportional oft mit Finanzierungshürden konfrontiert, die ihre Entwicklung bremsen – und damit auch den Beitrag, den sie zur gesamtwirtschaftlichen Dynamik leisten könnten. So berichtet etwa jede fünfte Gründung mit Migrationsbezug von Problemen bei der Kapitalbeschaffung – deutlich mehr als Unternehmen ohne Migrationsbezug.

Finanzierung: Zu oft auf sich allein gestellt

Im Vergleich zu anderen Gründer:innen sind Personen mit Migrationsbezug deutlich häufiger auf Eigenkapital oder auf Unterstützung aus dem privaten Umfeld angewiesen. Der Zugang zu klassischen Bankkrediten ist erschwert – auch bei vergleichbarer Qualifikation, Branche und unternehmerischer Erfahrung. Das weist auf implizite Barrieren hin, die sich negativ auf die Chancengleichheit im Finanzsystem auswirken könnten.

Der Anteil der Gesamtfinanzierung durch Wagniskapital ist in der Gruppe der Gründungen mit Migrationsbezug etwas größer als bei anderen Unternehmen. Sie profitieren allerdings trotz ihres hohen Potenzials nicht in höherem Maße von staatlicher Förderung. Abhilfe könnte hier eine gezielte Weiterentwicklung bestehender Förderprogramm schaffen – etwa durch eine stärkere Einbindung migrantischer Netzwerke oder den Abbau sprachlicher und bürokratischer Hürden.

Dennoch hat sich der Anteil der Gründungen mit mindestens einer Person mit Migrationsbezug zwischen 2005 und 2022 mehr als verdoppelt – von 8 auf 19 Prozent.  Inzwischen hat jede fünfte Unternehmensgründung in Deutschland eine Gründerperson mit Migrationshintergrund.

Vielfältige Motive und resiliente Strategien

Entgegen weit verbreiteter Annahmen sind Gründungen von Personen mit Migrationshintergrund nicht primär durch wirtschaftliche Not motiviert. Zwar nennen sie bessere Verdienstmöglichkeiten häufig als Gründungsmotiv, doch auch strategische Beweggründe wie selbstbestimmtes Arbeiten spielen eine zentrale Rolle.

Die Gründungen sind nicht selten Ausdruck von Resilienz und unternehmerischem Weitblick. In ihrer Zusammensetzung sind sie oft international und interkulturell – etwa jedes dritte Team mit Migrationsbezug wird in Zusammenarbeit mit deutschen Mitgründer:innen gegründet. Kulturelle Vielfalt erweist sich hier als Stärke.

Keine Unterschiede beim Wachstum – aber ungenutztes Potenzial

Trotz der genannten Herausforderungen entwickeln sich Gründungen mit Migrationsbezug bei Umsatz und Beschäftigung ebenso dynamisch wie ihre Pendants ohne Migrationsbezug. Allerdings würde man bei der höheren Innovationsleistung auch höheren wirtschaftlichen Erfolg erwarten. Dies legt nahe, dass bestehende Strukturen nicht ausreichend darauf ausgelegt sind, das Potenzial dieser Unternehmen mit Migrationsbezug zu fördern.

Und jetzt? Vielfalt gezielt fördern

Gründungen mit Migrationsbezug sind ein wertvoller Bestandteil des deutschen Innovationssystems. Sie verbinden Vielfalt mit Dynamik – und bereichern den Wirtschaftsstandort Deutschland. Um ihr volles Potenzial zu entfalten, braucht es gezielte Unterstützung, faire Finanzierungsbedingungen und die Anerkennung ihrer Leistungen in Öffentlichkeit und Politik. Daraus ergeben sich klare Handlungsfelder für Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft:

Abbau von Finanzierungsbarrieren: Banken und Investor:innen müssen für die strukturellen Herausforderungen migrantischer Gründer:innen sensibilisiert werden. Der Aufbau vertrauensvoller Finanzbeziehungen – etwa durch Vermittlung über diversitätsorientierte Anlaufstellen – kann hier entscheidend sein.

Förderprogramme inklusiver gestalten: Öffentliche Fördermaßnahmen sollten zielgerichtet für Gründer:innen mit Migrationsbezug geöffnet werden – etwa durch niedrigschwellige Informationsangebote, mehrsprachige Beratung und gezielte Ansprache migrantischer Netzwerke.

Unternehmerische Vielfalt sichtbar machen: Die öffentliche Wahrnehmung von Gründungserfolg ist vielfach noch von Stereotypen geprägt. Sichtbarkeit und Anerkennung erfolgreicher migrantischer Gründer:innen können als Vorbilder wirken und gesellschaftliche Narrative verändern.

Stärkung interkultureller Teams: Gemischte Gründungsteams vereinen unterschiedliche Perspektiven und erhöhen die Resilienz und Innovationsfähigkeit junger Unternehmen. Netzwerke und Programme, die den Austausch über Herkunftsgrenzen hinweg fördern, verdienen besondere Unterstützung.

Die Analyse basiert auf Daten aus dem IAB/ZEW-Gründungspanel, das über einen Zeitraum von fast 20 Jahren rund 40.000 Unternehmensgründungen untersucht hat.

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