Amy Hirschi, unsplash
Jana Lunz
11. September 2024

Gründen in der Mitte des Lebens: Das Potenzial älterer Entrepreneure

Die Förderung von Gründung und Innovation konzentriert sich vor allem auf junge Studierende. Dabei ist das tatsächliche Gründungsgeschehen von einer größeren Altersdiversität geprägt.

Wenn es in Deutschland um Innovation und Gründungsdynamik geht, dann dominieren die Bilder von hippen (meist männlichen) Jungunternehmern, die mit ihren ausgegründeten und geförderten IT- oder Tech-Startups den Wirtschaftsstandort des Landes sichern. Traut man den Bildern der Förder- und Gründungsszene, so scheint das ganze Land nur aus der Generation Z zu bestehen.

Tatsächlich aber befinden wir uns in einem tiefgreifenden demografischen Wandel. Diese Entwicklung ist nicht über Nacht geschehen, aber mit dem inzwischen vielfach beklagten Fachkräftemangel ist sie endlich auch in der öffentlichen Wahrnehmung angekommen. Die Bevölkerung wird älter, aber – und das ist die schöne Nachricht – sie bleibt auch länger gesund und leistungsfähig.

Dennoch konzentrieren wir uns bei der Förderung von Gründung und Innovation vor allem auf junge Studierende in den Hochschulen. Dabei zeigt ein genauer Blick auf die Zahlen: Auch wenn der Anteil der jüngeren Startup-Pioniere größer ist, ist das Klischee vom jugendlichen Garagengründer doch ein verzerrtes Bild. Das tatsächliche Gründungsgeschehen ist von einer größeren Altersdiversität geprägt. Die Förder- und Startup-Landschaft bildet dies aber nicht ab.

Gegründet wird mit Mitte 30

2022 gingen ein Drittel der Existenzgründungen im Vollerwerb auf Menschen im Alter von 45 bis 64 Jahren zurück.  Und das, obwohl der Anteil der älteren Gründer:innen während der Corona-Krise sogar stark abnahm.

Quelle: KfW-Gründungsmonitor 2022. Tabellen- und Methodenband
Herausgeber KfW Bankengruppe. Dr. Georg Metzger, Frankfurt am Main, Mai 2022

Generell lag das mittlere Lebensalter von Gründungspersonen in Deutschland bei 36,9 Jahren. Männer gründeten im Schnitt mit 35,4 Jahren, Frauen mit 39,3 Jahren.  Dieses Bild zeigt sich nicht nur in Deutschland. In den USA wurde 2018 eine Studie des Massachusetts Institute of Technology (MIT)  veröffentlicht (aktuellere Daten sind leider nicht zu finden). Sie war mit dem Slogan „Der zwanzigjährige Gründer ist eine Lüge“ betitelt.

Alter und Innovation

Die Ergebnisse der MIT-Studie ergaben, dass die wachstumsstärksten Unternehmen von Menschen über 40 Jahren gegründet wurden. Die Autoren der Studie resümieren, dass das Alter wichtige unternehmerische Ressourcen bereithalte, wie Erfahrungswissen, Finanzkapital und Netzwerke.  Die geläufige Wahrnehmung, dass die Jugend mit der angenommenen Originalität und Energie der wichtigste Motor für Innovation und Wachstum ist, gehöre auf den Prüfstand.

Eine weitere Studie aus den USA gab 2016 Einblicke in die Innovationskraft der Älteren. Bei der Befragung von Personen, die für die wichtigsten Innovationen in Amerika verantwortlich sind, ergab sich ein Peak im Alter von 46 bis 50 Jahren. Generell sind die Innovationsraten im Alter zwischen 41 und 55 Jahren sehr hoch. Besonders in den Technologiebranchen Bio- und Materialwissenschaften sowie Informationstechnologie zeigte die Datenauswertung, dass   mehr als ein Drittel der Patente auf die Ideen von Menschen über 55 zurückgehen (siehe folgende Abbildung).

Quelle: The demographics of innovation in the United States. By Adams Nager, David Hart, Stephen Ezell, and Robert d. Atkinson. Information Technology & Innovation Foundation

Potenzial der Älteren

Unabhängig davon, ob die Ideen älterer Entrepreneure gleich für ein Patent reichen: Es drängt sich die Frage auf, warum Menschen in der zweiten Lebenshälfte so wenig in unserer Gründungskultur adressiert werden.

In der aktuellen Diskussion über den Fachkräftemangel sind die älteren Beschäftigen längst in den Fokus gekommen. Zwar gibt es noch immer den Irrglauben von fehlender Lernbereitschaft und geringerer Produktivität Älterer und noch immer fühlen sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ab 50 Jahren schon auf dem Abstellgleis. Aber der demografische Wandel führt zunehmend zu einem neuen, ressourcenorientierten Blick auf die Beschäftigten.

Ältere Menschen sind wertvolle Wissensträger, sie verfügen über Jahrzehnte an beruflicher Erfahrung, Branchenkenntnissen und über ein umfangreiches Netzwerk an Kontakten. In der HR-Praxis geht es daher zunehmend darum, ein Unternehmensklima zu schaffen, das Alters-Stereotype überwindet und mit Weiterbildung und Wertschätzung die ältere Belegschaft in den Unternehmen hält.

Das Knowhow, die Lebenserfahrung und die Netzwerke der Älteren sind auch von Vorteil, um eine ausgereifte Geschäftsidee zu entwickeln, Kunden besser zu verstehen, Risiken einzuschätzen und Entscheidungen zu treffen. Das heißt, die Potenziale der Älteren sind auch für die Startup-Welt Gold wert. Ältere Gründerinnen und Gründer sind eine Ressource für wirtschaftliche Dynamik und Innovation.

Ältere sind bereit, zu gründen

Mit den Babyboomern gibt es erstmals eine Generation, die das Potenzial hat, die Gründerszene auch als zweite oder dritte Berufskarriere zu erobern. Die geburtenstarke Bevölkerungsgruppe weist ein hohes Bildungsniveau auf und hat an verantwortlichen Positionen gewirkt. Zudem werden die Boomer gesünder alt als vorherige Generationen und sind dementsprechend leistungsfähiger und fitter.

Ähnliches gilt für die nachfolgende Generation X, die heute 45- bis 58-Jährigen. Sie haben im besonderen Maße von der Hochschulbildung der 1980er und 1990er Jahre profitiert, ihre beruflichen Karrieren waren von der Einführung neuer Technologien geprägt, die Anpassungsfähigkeit und Weiterbildung erforderten. Eine Motivation für eine Unternehmensgründung könnte gerade in dieser Generation getrieben sein von dem Bedürfnis nach beruflicher Autonomie und nach einer Umorientierung für die spätere Karriere. Mit dieser Annahme führte die Körber-Stiftung 2018 eine Befragung von 50- bis 64-Jährigen durch.  Für 23 Prozent der Befragten war es denkbar, ein Unternehmen zu gründen. Kommt ein sozialer Impact hinzu, steigt die Bereitschaft noch einmal deutlich an.

Noch sind die Gründungsaktivitäten der Älteren im Vergleich zu den jüngeren Generationen allerdings eher niedrig: 5,7 Prozent der 45- bis 54-Jährigen und 3,0 Prozent der 55- bis 64-Jährigen gründeten im Jahr 2023. Was sind die entscheidenden Hebel, um das Potenzial der Babyboomer und der nachfolgenden Generation X für die Wirtschaft zu heben?  Wie gelingt es, dass die Option eines Neustarts zur realen Gründung wird?

Altersdiverse Gründerkultur

Die Befragung der Körber-Stiftung zeigte, dass neben persönlichen Einschränkungen auch strukturelle Hindernisse wie mangelnde Finanzierungsmöglichkeiten und zu wenig Informationen Hemmnisse sind. Eine inklusive Gründungskultur fördert unterrepräsentierte Gruppen wie Unternehmerinnen oder Menschen aus migrantischen Communities. Das sollte auch für benachteiligte Altersgruppen gelten.

Ressourcen, Informationen und Netzwerke stehen zwar per se für alle offen, aber Ansprache und Förderprogramme sind nicht altersdivers. Es ist an der Zeit, die narrative Landschaft der Unternehmensgründung zu erweitern, um Menschen jeden Alters willkommen zu heißen und zu unterstützen. Indem wir die (lebens)erfahrenen Generationen gezielt für Gründungen ansprechen und in unserer Kommunikation berücksichtigen, fördern wir nicht nur Diversität und Inklusion, sondern auch die wirtschaftliche Dynamik und Innovation.

Senior Social Entrepreneurship

Die aktuellen gesellschaftlichen Umbrüche und Herausforderungen wie der Klimawandel erfordern innovative und nachhaltige Lösungen. Für diese scheinen ältere Gründerinnen und Gründer bestens geeignet. Die soziale Wirkung ist für Senior Entrepreneurs oft ein wichtiger Motivationsgrund für ihren Neustart. Neben einer Tätigkeit mit Sinn haben sie oft die Intention, etwas zu hinterlassen, eine Spur zu legen, um die Demokratie zu stärken und die Gesellschaft besser zu machen. Gleichzeitig sind sie durch ihre finanzielle Stabilität nicht auf kurzfristige Gewinne angewiesen und verfügen über Erfahrungen und ein breites Spektrum an Fähigkeiten.

Seit einigen Jahren erkennt auch die deutsche Regierung die Bedeutung des unternehmerischen Sektors mit Impact an und unterstützt Social Entrepreneurship mit Kampagnen und Finanzierungsprogrammen. Dennoch sind mit den sozialen und ökologischen Aufgaben oft besondere Herausforderungen verbunden, beispielsweise eingeschränkte Finanzierungsmöglichkeiten und ein starkes Netzwerk.

Hier könnten die Älteren punkten, da sie an ihre beruflichen Netzwerke anknüpfen können und über ausreichend Startkapital verfügen. Wenn sie dieses nicht haben, sehen die Älteren allerdings im wahrsten Sinne des Wortes „alt“ aus. Denn Kredite von den Banken werden ihnen oft aus Altersgründen verweigert. Was fehlt, ist die Vernetzung mit der Startup-Community oder mit Förder- und Mentoringprogrammen. Das Thema Senior Entrepreneurship ist in der deutschen Gründungslandschaft noch nicht angekommen.

Inspirationen aus den USA

Hier lohnt ein Blick in die USA: Die einflussreiche American Association of Retired Persons AARP mit 40 Millionen Mitgliedern und Präsenzen in allen US-Bundesstaaten bietet zusammen mit der Agentur Public Private Strategies ein „Small Business Resource Center for 50+“. Diese Plattform unterstützt mit Informationen, Schulungen und Beratung bei Aufbau, (Finanz-) Management und Resilienz von Senior Startups. Darüber hinaus fördert die AARP mit dem Programm „Work for Yourself@50+ einkommensschwache Ältere beim Aufbau eines kleinen Business.

Aber auch soziale Innovationen sind in den USA offensichtlich keine Domäne der Jugend. Das zeigt seit 2005 eindrücklich und öffentlichkeitswirksam der Purpose-Prize. Die Auszeichnung würdigt jährlich Menschen 50+, die gemeinnützige Organisationen geschaffen haben. Sie bietet neben dem Preisgeld Ressourcen und Begleitung zur Wirkungsstärkung der Gründungen. Der Preis geht auf die schon seit 1998 existierende Organisation encore.org und ihren Gründer Marc Freedman zurück. Angetreten für die Mobilisierung und Anerkennung des Beitrags Älterer wurde u.a. ein landesweites Fellowship-Programm für eine zweite Karriere mit Social Impact aufgebaut.

Gründungslandschaft für alle Generationen öffnen

Die Körber-Stiftung hat die Idee des Purpose-Prize 2019 aufgenommen und vergibt seitdem in Deutschland jährlich den mit je 60.000 Euro dotierten Zugabe-Preis an drei Gründerinnen und Gründer 60plus, die mit unternehmerischen Mitteln Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen finden. Mit dem Preis und vor allem mit den Gründergeschichten der Preistragenden möchte die Stiftung das gängige Altersbild verändern. Der Fokus liegt auf dem Potenzial der Älteren für die Wirtschaft sowie der Gestaltung einer gerechten und sozial wie ökologisch nachhaltigen Gesellschaft. Und nicht zuletzt sollen die Vorbilder Mut machen, die Phase nach der Lebensmitte zu nutzen, um selbst Verantwortung für gesellschaftlichen Wandel zu übernehmen.

Noch aber gibt es eine große Lücke zwischen den Menschen in der zweiten Lebenshälfte, die sich neu orientieren wollen und eine Selbständigkeit ins Auge fassen und denen, die tatsächlich eine „Zugabe“ umsetzen.  Damit mehr Ältere ein eigenes Business gründen, bedarf es einer Ansprache, die die spezifischen Bedürfnisse der Altersgruppe berücksichtigt.

Bevor wir jedoch Startup-Hubs für Alte kreieren, sollten wir die bestehenden Netzwerke und Förderstrukturen offener gestalten. Die Lösung könnte ganz einfach darin liegen, die Generationen zusammenzuführen. Jung und Alt könnten zusammen das Startup-Inkubator-Programm belegen. Sie könnten miteinander lernen, voneinander profitieren und zusammen erfolgreich innovativ und nachhaltig gründen. Übrigens: Encore, die amerikanische Vorbildbewegung, heißt inzwischen „CoGenerate“.

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