Die Übergabe des seit 2006 jährlich erstellten „Gutachtens zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit“ durch die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) an die Bundesregierung erfolgte dieses Mal unter zweifach besonderen Vorzeichen: Zum einen war mit Spannung eine erste Analyse der innovationspolitischen Vorhaben der Regierung zu erwarten. Zum anderen: Wie liest sich das Gutachten vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs, der tiefgreifende Diskussionen um energiepolitische und wirtschaftliche Abhängigkeiten mit sich bringt?
Beide Aspekte lassen sich bis jetzt nur mit Vorsicht bestimmen: Die noch junge Legislaturperiode ist derzeit lediglich anhand ihrer innovationspolitischen Ambitionen und nicht anhand von Resultaten zu bewerten. Zudem lag der Redaktionsschluss vor dem Kriegsausbruch. Nichtsdestotrotz ist der Druck, sich mit Innovation zu befassen, gerade unter den neuen Bedingungen größer denn je: Wie lassen sich fossile Energieträger schnellstmöglich ersetzen? Kommen mit dem neuen Fokus auf Sicherheitsthemen auch neue Sachzwänge in der Innovationspolitik auf? Als wie stabil erweisen sich die zweifelsohne ambitionierten Innovationspläne der Regierung, und wie lassen sie sich angesichts von unausweichlichen Sparzwängen realisieren?
Auf diese grundlegenden Fragen wird es erst in den kommenden Monaten oder Jahren abschließende Antworten geben können. Was es auf dem Weg dorthin zu beachten gilt, dazu bietet das EFI-Gutachten einige beachtenswerte und diskussionswürdige Anregungen, die laut dem Kommissionsvorsitzenden Professor Uwe Cantner auch trotz des Krieges weiterhin Gültigkeit besitzen.
Innovation als Grundlage von Nachhaltigkeit und technologischer Souveränität
Da ist zunächst der Punkt der transformativen Kraft von Innovation. Der Standpunkt, Innovation als einen zentralen Hebel des Wandels hin zu wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Nachhaltigkeit zu behandeln, wird zusehends geteilt und findet sich auch als Grundgedanke im Dokument wieder. Dabei stellt das Gutachten fest, dass es nicht an guten Absichten, sondern an planerischer Konkretion mangelt: „Planvolles und kluges Vorgehen zur Bewältigung der anstehenden großen gesellschaftlichen Herausforderungen verlangt nach der raschen Konzeption einer über die Legislatur hinausreichenden umfassenden Strategie für eine Forschungs- und Innovationspolitik, die transformations- und missionsorientiert ausgerichtet ist.“ Das ist eine unbedingt unterstützenswerte Aussage, wenngleich es interessant wäre mehr darüber zu erfahren, wie sich die Kommission den Erarbeitungsprozess normativ begründeter Ziele und Missionen vorstellt. Wie genau lässt sich beispielsweise die Hightech-Strategie zu einer humanzentrierten Strategie weiterentwickeln? Dass die Sustainable Development Goals, die in diesem Kontext zweifellos einen geeigneten Zielkorridor darstellen, lediglich eine einmalige Erwähnung finden, ist eine vertane Chance. Aber sollte das Publikum nicht genau von einem solchen Gutachten selbst strategische Handlungsoptionen erwarten können?
Umso wichtiger ist deshalb die klar formulierte Empfehlung, im Bereich der Technologieförderung eine Priorisierung zugunsten von Schlüsseltechnologien vorzunehmen und sie auch im Rahmen anwendungsorientierter Pilotprojekte zu unterstützen. Die Ziele liegen dabei auf der Hand: Bei der Digitalisierung nicht noch weiter ins Hintertreffen geraten, gesellschaftliche Herausforderungen mittels technologischer Neuerungen adressieren und auch die technologische Souveränität stärken. Besonders das letztgenannte Anliegen dürfte in den nächsten Monaten verstärkt im Mittelpunkt der Diskussion stehen. Was angesichts der aktuellen Situation zu kurz kommt, ist die gleichrangige Einstufung der Bekämpfung des Klimawandels als Mission erster Rangordnung, zum Beispiel durch die Substitution fossiler Energieträger, eine Steigerung der Ressourceneffizienz und der Aufbau einer Kreislaufökonomie.
Agiler werden ohne Agentur?
Zu welchen Instrumenten und institutionellen Veränderungen aber rät die Kommission bei der Umsetzung? Grundsätzlich müsse endlich eine neue Kultur der Zusammenarbeit Einzug halten: „Die neue Bundesregierung benötigt einen kohärenten Politikansatz, der F&I-Prozesse in ihrer Vielfältigkeit und Gesamtheit mit allen Facetten umfasst und dem sich alle Ressorts verpflichtet fühlen.“ Mehr Agilität, mehr ressortübergreifende Kollaboration und Koordination, mehr Partizipation und nicht zuletzt auch bessere Ansätze des Politiklernens – das Anforderungsprofil an das „Wie“ von Innovationspolitik ist eindeutig und erinnert interessanterweise beträchtlich an die Mängelliste aus dem letzten Jahr. All dies ist nur zu unterstreichen, reicht aber nicht aus. Da die (finanziellen) Ressourcen tatsächlich knapper werden, gilt umso mehr der Imperativ, die vorhandenen Kräfte zu bündeln und Synergien zwischen den Beteiligten zu schaffen. In einer Zeit von Krieg und Corona, von Pest und Cholera ist von der EFI vielleicht noch mehr forschungspolitische Orientierung mit einer klaren Benennung von Prioritäten zu erwarten.
Noch weniger reformfreudig zeigt sich die EFI beim Punkt der Agenturlösung. Zwar fordert die Kommission die Bundesregierung zurecht auf, die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen der Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIN-D) zu verbessern und diese „unabhängig von einer operativen Steuerung durch die Ministerialbürokratien“ zu machen. Der geplanten Etablierung der Deutschen Agentur für Transfer und Innovation (DATI) schlägt hingegen Skepsis entgegen: „Die Expertenkommission vertritt die Ansicht, dass die Gründung neuer Agenturen nur dann sinnvoll ist, wenn sie Aufgaben im deutschen F&I-System übernehmen, die zuvor nicht – weder durch staatliche Förderprogramme und Forschungseinrichtungen noch hinreichend durch das Engagement privater Akteure – abgedeckt wurden und zu deren Erfüllung institutionelle Voraussetzungen nötig sind, die noch nicht existieren.“ Diese Voraussetzungen sieht das Jahresgutachten derzeit jedoch als nicht gegeben; vielmehr bedürfe es einer Reform des Projektträger-Modells. Genau an dieser Stelle wären dann klare Empfehlungen angebracht, wie denn die bestehenden Projektträger erneuert werden sollen. Vor allem aber liest sich hier akademische Skepsis gegenüber erfolgreichen Lösungen in der Praxis, wie sie bereits seit Jahren in Ländern wie Schweden, Großbritannien, Israel oder der Schweiz realisiert werden. Ansatzpunkte für eine solche Agentur gäbe es hierzulande genügend. So bemängelt auch die EFI selbst seit langem die geringe Nutzung von Forschungsergebnissen durch mittelständische Unternehmen, deren geringen Innovationsgrad oder die mangelnde Verzahnung von Wissenschaft, Wirtschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft in den Regionen. Im Grunde wären dies längst überfällige „Aufgaben im deutschen F&I-System“, die durch die DATI endlich „eine institutionelle Voraussetzung“ bekommen könnten, „die noch nicht existiert”.
Das abschlägige Urteil ist insofern schade, als dass eine Agentur durchaus zur geforderten Steigerung von Agilität und Partizipation beitragen und auch als missionsorientierter Transformationstreiber wirken könnte – zugegebenermaßen nicht als „Allheilmittel“, jedoch als wichtige Ergänzung der bestehenden Innovationslandschaft. Es bleibt der Eindruck zurück, dass die Agenturfrage doch etwas zu zügig abgehandelt wurde, obwohl es angesichts der diagnostizierten Schwächen des Innovationssystems und vor dem Hintergrund der drängenden gesellschaftlichen Herausforderungen angeraten wäre, auch radikale Neuerungen im System selbst zu erwägen.
Positiv fällt hingegen auf, dass dem Aspekt der Startup-Förderung mehr Beachtung als im letzten Jahr zuteil wird. Die Gründungs- und Transferinfrastruktur zu verbessern, Startup-Förderstellen zu professionalisieren, Impact Investing zu stärken – das sind wichtige Empfehlungen, die hoffentlich dazu beitragen, die potenziell transformative Kraft junger Unternehmen gezielter zu nutzen und neue Ideen in die Anwendung zu bringen.
Das Ziel der Nachhaltigkeit bleibt aktuell
Doch ob es um thematische Schwerpunktsetzungen oder institutionelle Anpassungen geht, alle Empfehlungen sind vor dem Hintergrund der Frage zu betrachten, welchen Sach- und Sparzwängen die hiesige Innovationspolitik künftig unterworfen sein wird. Die angebrochene „Zeitenwende” wird an vielen Stellen zu finanzpolitischen Verteilungskämpfen führen. Etablierte Akteure in Bildung, Forschung und Innovation wollen und werden ihre Ressourcenquellen vehement verteidigen. Neue Modelle erfordern dagegen zusätzlich „frisches Geld“, während die Haushaltsbrunnen weniger Wasser führen. Wir leben derzeit zwar in einer Zeit von Krieg und Corona, aber es ist nicht die Entscheidung zwischen Pest und Cholera zu treffen, sondern es sind Rangfolgen und Gewichtungen neu zu bestimmen. Dabei wäre es hilfreich, würde die EFI durch pointiertere Empfehlungen mehr Entscheidungshilfe leisten. Auch wenn das Risiko besteht, sich so den Unwillen mancher Akteure zuzuziehen.
Es ist die Verantwortung für das Ganze und die langfristigen Ziele, die die EFI und ihre Gutachten zu schultern hat. Niemand braucht sie dabei daran zu erinnern, dass trotz der dramatischen aktuellen Entwicklungen manche Herausforderungen weiterhin und jetzt zum Teil sogar verstärkt bestehen, allen voran die Transformation zu einer wirklich nachhaltigen und resilienten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Daher wäre es zu begrüßen, würde die EFI-Kommission vor dem Hintergrund der aktuellen Geschehnisse in einigen Monaten ein Ergänzungsgutachten erstellt, das neues Orientierungswissen und eindeutige Handlungsempfehlungen für Entscheidungsträger:innen liefert. Eines mit noch mehr Mut!
Kommentar verfassen