Noch kann sich Deutschland seines breiten Wohlstands und vieler guter Arbeitsplätze rühmen. Denn unsere wirtschaftlich gute Lage ist auch das Ergebnis unserer Innovationsfähigkeit. „Made in Germany“ hat nach wie vor weltweit einen ausgezeichneten Ruf. Dass einer der ersten Corona-Impfstoffe von einem jungen deutschen Unternehmen entwickelt wurde, ist dafür ein eindrucksvoller Beleg. Daher lautet die Devise, unser Talent für Innovationen nicht nur zu erhalten, sondern auch zu stärken. Denn wir müssen aufpassen: Es gibt in Deutschland eine Reihe von strukturellen Schwächen, die unserer Innovationskraft schaden. Diese Schwächen müssen wir benennen und schnellstmöglich beseitigen.
Innovationschancen für Unternehmen und Beschäftigte nutzen
Wie wichtig eine starke Innovationsfähigkeit ist, zeigen die Chancen, die zum Beispiel die Mobilitätswende oder die digitale Transformation der deutschen Wirtschaft bieten. Mit den richtigen Weichenstellungen können Mittelständler wie Konzerne ihre weltweiten Spitzenpositionen in einer Vielzahl von Bereichen wie dem Maschinenbau, den industrienahen Dienstleistungen oder der Logistik nicht nur sichern, sondern noch weiter ausbauen. Start-ups können mit innovativen Geschäftsmodellen weltweit neue Märkte erschließen. Ebenso steckt im Handwerk wie im gesamten Dienstleitungssektor enormes digitales Wachstumspotenzial.
Höhere Produktivität und Wachstum schaffen neue Arbeitsplätze. Entgegen verbreiteter Mythen und Horrorprognosen von flächendeckender Automatisierung und massenhaften Jobverlusten brauchen wir den Blick nach vorne nicht zu scheuen. Zwar werden einzelne Berufe und Tätigkeiten wegfallen. Gleichzeitig werden aber zahlreiche neue entstehen und bestehende Berufsbilder fortentwickelt. Das geschieht nicht von heute auf morgen. Vielmehr stellt die Digitalisierung einen transformativen Prozess dar. Jobanforderungen werden sich weiter wandeln. Bildung, Weiterbildung und lebenslanges Lernen sind daher der zentrale Schlüssel für die Schaffung von Teilhabe in der digitalisierten Arbeitswelt.
Für Beschäftigte hat das viele Vorteile: Durch den technologischen Fortschritt können immer mehr Menschen mobil arbeiten und ihre Arbeit für eine bessere Work-Life-Balance und Vereinbarkeit von Familie und Beruf flexibler einteilen. Intelligente Assistenzsysteme (wie Softwareanwendungen, Datenbrillen, Mensch-Maschine-Kollaboration) erleichtern das Arbeiten für ältere Beschäftigte und verbessern die Integration von Menschen mit Behinderung. Auch geringer qualifizierte Beschäftigte können durch die Unterstützung intelligenter Systeme bei komplexeren Aufgaben unterstützt werden. Kurzum: innovative Technologien ermöglichen innovative Arbeitsmodelle, die für uns alle einen Mehrwert schaffen.
Arbeitsrecht innovationsfähig machen
In einer disruptiven Welt, wie wir sie gerade erleben, sind Flexibilität, Anpassungsfähigkeit und individuelle Kundenorientierung oberstes Gebot. Umso mehr kommt es darauf an, agile Arbeitsmodelle zu fördern, denn vor allem agile Unternehmen sind am ehesten in der Lage, sich den wandelnden Umständen schnell und wendig anpassen zu können. Agiles Arbeiten weist so auch den Weg zu neuen und erfolgreichen Innovationen. Die Politik muss dazu einen klugen Rahmen setzen.
Wir brauchen zum Beispiel ein modernes und flexibles Arbeitsrecht, das den Bedürfnissen von Unternehmen und Beschäftigten im digitalen Zeitalter gerecht wird. Die Einführung agiler Strukturen kann Unternehmen vor arbeitsrechtliche Herausforderungen stellen. Bestes Beispiel ist das deutsche Arbeitszeitgesetz. In Deutschland darf für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die werktägliche Arbeitszeit im Regelfall acht Stunden nicht überschreiten. Zudem ist eine mindestens elfstündige ununterbrochene Ruhezeit vorgeschrieben. Was beispielsweise für eine Vielzahl von Produktionsbeschäftigten eine sinnvolle Regelung sein mag, stellt agile Projektteams vor große Probleme – das Arbeitszeitgesetz differenziert hier nicht. Im Fokus agiler Teams stehen konkrete Ergebnisse, eine starke Kundenorientierung und eine eigenverantwortliche, flexible Einteilung der Arbeit und somit auch der Arbeitszeit. Ein Team muss auch in besonders intensiven und produktiven Projektphasen darauf achten, dass die Höchstarbeitszeit jedes Teammitglieds nicht überschritten und die Ruhezeiten eingehalten werden. Mit der modernen Arbeitswelt hat das wenig zu tun. Wichtig ist, dass die flexible Einteilung der Arbeitszeit nicht bedeutet mehr zu arbeiten. Die EU-Arbeitszeitrichtlinie liefert hier eine sinnvolle Lösung: Mit der Einführung einer wöchentlichen anstelle einer täglichen Höchstarbeitszeit könnte auch in Deutschland flexibler gearbeitet und damit individuelle Bedürfnisse besser berücksichtigt werden.
Eine innovative Wirtschaft braucht kluge Köpfe
Das unflexible deutsche Arbeitsrecht ist nur ein Beispiel für strukturelle Schwächen. Die demographische Entwicklung, aber auch der bereits heute bestehende Engpass an qualifizierten Arbeitskräften beeinträchtigt die Innovationsfähigkeit der Unternehmen in Deutschland. Die so genannte MINT-Fachkräftelücke (MINT = Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) hat sich in der pandemiebedingten Krise zwar deutlich verringert, noch immer übersteigt das Stellenangebot aber deutlich die Anzahl der arbeitssuchenden Fachkräfte. Dies betrifft insbesondere den IT-Bereich, aber z. B. auch die Bauwirtschaft und Elektro- und Energieberufe sowie Forschung und Entwicklung in den Unternehmen. MINT-Fachkräfte sind also auch in der Krise weiterhin dringend gesucht. Wir müssen daher noch mehr dafür tun, dass sich junge Menschen für einen technischen Beruf entscheiden. Gleichzeitig werden berufliche Weiterbildung und lebenslanges Lernen zentral, um die Beschäftigten mit den in den Betrieben dringen benötigten Skills auszustatten. Dennoch ist klar: Ohne entsprechende qualifizierte Zuwanderung ist der MINT-Fachkräftebedarf schon lange nicht mehr zu decken. Deutschland muss deshalb noch attraktiver für ausländische Fachkräfte werden. Der Fachkräftemangel birgt die Gefahr, dass Unternehmen Innovationsprojekte auf die lange Bank schieben müssen oder gar darauf verzichten – mit fatalen Folgen für Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft.
Ein weiteres Beispiel unserer strukturellen Schwächen ist die öffentliche Verwaltung: Fast täglich merken wir seit Anbeginn der Corona-Pandemie, dass sie bei der Digitalisierung viel weiter sein könnte und müsste, als sie es ist. Bund, Länder und Kommunen arbeiten viel zu langsam und behäbig. Entsprechend langsam verlaufen die Entscheidungsprozesse. Andere Länder wie Estland oder die nordischen Staaten sind da viel weiter. Diese Länder können uns zeigen wie die Beschleunigung der Verwaltungsdigitalisierung funktioniert. An ihnen sollten wir uns ein Beispiel nehmen, denn Deutschland muss dringend einfacher werden.
Klar ist: Das deutsche Innovationssystem benötigt dringend einen Modernisierungsschub. Innovationen „Made in Germany“ bilden die Grundlage für Wohlstand und Arbeitsplätze von heute und morgen. Die Wirtschaft ist und bleibt dabei der wichtigste Motor für Innovationen. Aber die Unternehmen brauchen mehr Luft zum Atmen und viel mehr unternehmerische Freiheiten, als es bisher der Fall ist. Der Handlungsbedarf ist klar erkannt und benannt. Wir müssen nur die Kraft aufbringen, endlich anzupacken.
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