In der Frühphase der Corona-Pandemie stellte sich die Frage, ob sie das Gründungsgeschehen in Deutschland treiben könne (vgl. Kay 2021). Mittlerweile liegt die Pandemie hinter uns und eine abschließende Antwort ist möglich: Von der Corona-Pandemie gingen keine positiven Impulse für das Gründungsgeschehen aus.
Existenzgründungen insgesamt 2018 bis 2022 in Deutschland
Quelle: Gewerbe: IfM Bonn auf Basis der Gewerbeanzeigenstatistik des StBA; übrige Tätigkeitsbereiche: Angaben der Finanzverwaltungen der Bundesländer; Berechnungen des IfM Bonn.
Im Jahr 2020 reduzierte sich die Anzahl der Existenzgründungen in Deutschland um 9,6 Prozent bzw. 9,8 Prozent gegenüber den beiden Vorjahren. In den beiden Folgejahren haben die Gründungsaktivitäten dann zwar wieder zugenommen, aber nicht mehr das Vorpandemie-Niveau erreicht.
Dieser Befund legt die Vermutung nahe, dass die Auswirkungen der Corona-Pandemie die Gründungsneigung in Deutschland dauerhaft gesenkt haben.
Wovon das Gründungsgeschehen beeinflusst wurde
Eine Differenzierung der Gründungszahlen nach Tätigkeitsbereichen deutet jedoch darauf hin, dass noch andere Faktoren die Entwicklung des Gründungsgeschehens beeinflusst haben könnten.
Existenzgründungsintensität nach Tätigkeitsbereichen 2019 bis 2022 in Deutschland
Quelle: Gewerbe: IfM Bonn auf Basis der Gewerbeanzeigenstatistik des StBA; übrige Tätigkeitsbereiche: Angaben der Finanzverwaltungen der Bundesländer; Berechnungen des IfM Bonn
So hat die sogenannte Existenzgründungsintensität, also die Anzahl der Existenzgründungen je 10.000 Einwohner im erwerbsfähigen Alter, in den Freien Berufen und in der Landwirtschaft im Jahr 2022 wieder das Vorpandemie-Niveau erreicht. Allein im Gewerbe verharrt sie deutlich darunter.
Ein tieferer Blick in das gewerbliche Existenzgründungsgeschehen offenbart, dass die erheblichen Einschränkungen durch die Lockdowns in den Jahren 2020 und 2021 in einigen besonders davon betroffenen Branchen tiefere Spuren zurückgelassen hat als in anderen. Dies gilt insbesondere für den Bereich Kunst, Unterhaltung, Erholung, das Gastgewerbe und die sonstigen personenbezogenen Dienstleistungen.
Entwicklung der gewerblichen Existenzgründungen 2022 gegenüber 2019 nach Wirtschaftsabschnitten
Quelle: IfM Bonn auf Basis der Gewerbeanzeigenstatistik des StBA; Berechnungen des IfM Bonn
Gründungen nur mit Master
Stärker noch fällt der Rückgang im Baugewerbe ins Auge. Dieser hat jedoch nichts mit der Corona-Pandemie zu tun – der Umsatz im Baugewerbe stieg 2020 noch gegenüber 2019 (vgl. Statistisches Bundesamt 2021a; b). Erst im Lauf des Jahres 2021 setzte eine Konjunktureintrübung im Baugewerbe ein. Eine Differenzierung der Gründungszahlen nach Bauhaupt- und Ausbaugewerbe macht deutlich, dass vor allem die Gründungen im Bereich „Vorbereitende Baustellenarbeiten, Bauinstallation und sonstiges Ausbaugewerbe“ (-28,5 %) und weniger die im Hoch- (-14,9 %) und Tiefbau (+15,1 %) abgenommen haben (vgl. IfM Bonn 2023).
In den erstgenannten Wirtschaftszweig fallen die Gewerke Fliesen-, Platten- und Mosaikleger, Estrich- und Parkettleger sowie Betonstein- und Terrazzohersteller: Vier der zwölf Gewerke, für die Anfang 2020 die Meisterpflicht wieder eingeführt wurde, die üblicherweise Voraussetzung für die Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit in diesen Gewerken ist. Die Novellierung der Handwerksordnung dürfte demnach hauptursächlich für die Abnahme der Gründungsaktivitäten im Baugewerbe gewesen sein (vgl. Kay/Kranzusch 2021; Thomä et al. 2021).
Fachkräftemangel wirkt dämpfend
Im Baugewerbe ist demnach von einer dauerhaften Absenkung des Gründungsniveaus auszugehen. Ob es in den Branchen, die besonders stark von den pandemieeinschränkenden Maßnahmen betroffen waren, in naher Zukunft zu einer (weiteren) Erholung kommt, bleibt abzuwarten.
Manches deutet jedoch darauf hin, dass sich ein Teil der gerade im Gastgewerbe tätigen Personen im Zuge der Pandemie beruflich neu orientiert hat. Dies verringert nicht nur das Gründungspotenzial in diesem Wirtschaftsbereich, sondern trägt dort auch zum Fachkräftemangel bei, der generell dämpfend auf das Gründungsgeschehen wirken sollte.
Ob und inwieweit die im Verlauf der Pandemie erlebten Unsicherheiten mittel- und langfristig auf das Gründungsgeschehen nachwirken werden, wird sich aufgrund anderer einschneidender Entwicklungen und deren Auswirkungen auf das Gründungsgeschehen vermutlich niemals eindeutig feststellen lassen.
Zu diesen einschneidenden Entwicklungen gehört der Überfall der Ukraine durch die Russische Föderation im Februar 2022. Dies führte erneut zu einer allgemeinen Verunsicherung. Anders als der erste Lockdown im März 2020 hat sich diese Verunsicherung kurzfristig jedoch nicht nennenswert auf die Gründungsaktivitäten ausgewirkt, wie die Entwicklung der monatlichen Anzahl der gewerblichen Existenzgründungen zeigt. Sie lag in etwa auf dem Niveau des Vorjahres.
Monatliche Anzahl der gewerblichen Existenzgründungen 2019 bis 2022
Quelle: IfM Bonn auf Basis der Gewerbeanzeigenstatistik des StBA; Berechnungen des IfM Bonn
Weniger gewerbliche Gründungen, mehr in Freien Berufen
Im Sommer 2023 lässt sich also festhalten: Die beiden großen exogenen Schocks der letzten Jahre haben – wenn überhaupt – lediglich im gewerblichen Gründungsgeschehen dauerhafte Spuren hinterlassen.
Die Gründungsaktivitäten in den Freien Berufen und in der Land- und Forstwirtschaft haben hingegen wieder das Vorpandemie-Niveau erreicht. Im gewerblichen Gründungsgeschehen wird dieses Vorpandemie-Niveau vorerst voraussichtlich nicht wieder erreicht werden – nicht nur wegen der Wiedereinführung der Meisterpflicht in einigen Gewerken. Vielmehr folgt das Gründungsgeschehen im Gewerbe bereits seit Langem einem rückläufigen Trend:
- Zwischen 2004 und 2022 hat sich die Anzahl der Existenzgründungen um nahezu 60 Prozent reduziert.
- Jahresdurchschnittlich um 2,3 Prozent. Zwischen 2019 und 2022 sank sie mit jahresdurchschnittlich 3,3 % nur eher geringfügig stärker.
Für den Bereich der Freien Berufe liegen keine derart langen Zeitreihen vor. Angaben zur Anzahl der Selbstständigen in den Freien Berufen deuten jedoch darauf hin, dass das dortige Gründungsgeschehen im Gegensatz zu dem gewerblichen einem positiven Trend folgt.
In den Freien Berufen hat sich die Anzahl der Selbstständigen seit 2001 verdoppelt, während die Anzahl der Selbstständigen insgesamt aktuell etwa auf dem Niveau des Jahres 2001 liegt. Hierin spiegelt sich die sich seit Langem vollziehende Verschiebung der Wirtschaftsstruktur vom primären und sekundären Sektor hin zum tertiären Sektor wider. Dieser Trend hin zu den Dienstleistungen wird sich weiter fortsetzen (vgl. Schneemann et al. 2023).
Insgesamt wohl Rückgang des Gründungsgeschehens
Bei allen Schwierigkeiten, die mit Prognosen verbunden sind: Auf mittlere und längere Sicht ist mit einem weiteren Rückgang des Gründungsgeschehens insgesamt zu rechnen, wobei die relativen Vorteile im freiberuflichen Bereich bestehen bleiben sollten.
Ein wesentlicher Grund dürfte der demografische Wandel sein, der sich in den zurückliegenden Jahren vor allem in der Alterung der erwerbsfähigen Bevölkerung ausdrückte und so bereits dämpfend auf das Gründungsgeschehen wirkte. Mit dem zunehmenden Ausscheiden der geburtenstarken Jahrgänge aus dem Erwerbsleben wird in wenigen Jahren jedoch auch das Erwerbspersonenpotenzial schrumpfen. Dies verschärft nicht nur die Fachkräfteengpässe. Es reduziert vielmehr auch das Gründungspotenzial und erhöht gleichzeitig die Opportunitätskosten einer Unternehmensgründung – weil die abhängige Beschäftigung durch steigende Löhne und sich verbessernde Arbeitsbedingungen an Attraktivität gewinnt.
Gründungen gelten gemeinhin als wesentlicher Treiber der Erneuerung der Wirtschaft. Vor diesem Hintergrund gibt der stetige Rückgang der Gründungsaktivitäten zu denken, zumal davon auch die Hightech-Gründungen im Verarbeitenden Gewerbe betroffen sind. Zwar ist unbekannt, wie viele Gründungen in welchen Wirtschaftsbereichen aus volkswirtschaftlicher Sicht optimal sind – es könnte also sein, dass dieses optimale Niveau noch nicht unterschritten ist –, aber die absehbar weiter rückläufige Entwicklung wirft doch die Frage aus, wie dem entgegengewirkt werden kann.
Die Wirtschaftspolitik hat sich zuletzt stark auf die Förderung innovativer, schnell wachsender Start-ups ausgerichtet. Ob und inwieweit sich das mittel- und langfristig auszahlen wird, bleibt abzuwarten. Die Stimulierung von anderen Gründungen sollte dabei jedoch nicht aus den Augen verloren werden. Da die selbstständige Tätigkeit offensichtlich gegenüber der abhängigen Beschäftigung an Attraktivität verloren hat, dürfte der generelle Ansatzpunkt darin liegen, die Selbstständigkeit wieder attraktiver zu machen. Solche Maßnahmen gehen über die direkte Förderung von Unternehmensgründungen hinaus. So sollte sich das Augenmerk auf die Schaffung von günstigen Rahmenbedingungen unternehmerischer Tätigkeit richten. Davon profitieren nicht nur die neuen, sondern auch die etablierten Unternehmen.
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