Kaum ein Thema in der Ökonomie wird so kontrovers diskutiert wie die Auswirkungen des technologischen Wandels auf die Beschäftigung. Seit den ersten Wellen der Mechanisierung schwankt die Debatte zwischen zwei Sichtweisen.
Die eine betont den Abbau von Arbeitsplätzen und verweist auf Automatisierung und künstliche Intelligenz als Kräfte, die Arbeit ersetzen. Die andere hebt die Schaffung neuer Arbeitsplätze hervor und unterstreicht die Komplementaritäten zwischen Technologie, Produktivität und der Nachfrage nach neuen Gütern und Dienstleistungen.
Innovation stärkt die Beschäftigung – aber…
Beide Sichtweisen sind zutreffend, erfassen jedoch unterschiedliche Facetten desselben Prozesses. Die entscheidende Frage lautet nicht, ob Innovation Beschäftigung fördert oder zerstört, sondern unter welchen Bedingungen sie zu einem Motor breiter Beschäftigung wird.
In einer aktuellen Studie untersuchen wir diese Frage systematisch für europäische Regionen im Zeitraum 2011–2021. Unsere Ergebnisse sind eindeutig: Innovation stärkt die Beschäftigung – jedoch nur dann, wenn sie von hoher Qualität, in globale Wissensnetzwerke eingebettet und auf verschiedene technologische Felder verteilt ist. Konzentrierte und isolierte Innovation führt dagegen zu geringeren Beschäftigungsgewinnen, verstärkt regionale Unterschiede und verschärft die Ungleichheit zwischen den Arbeitnehmer:innen.
Eine regionale Perspektive auf Innovation
Ein Großteil der bisherigen Evidenz zu Innovation und Arbeitsmärkten basiert auf nationalen oder sektoralen Daten. Innovation ist jedoch von Natur aus lokal: Unternehmen, Universitäten und Arbeitskräfte ballen sich in bestimmten Regionen und auf dieser räumlichen Ebene zirkuliert Wissen und reagiert Beschäftigung. Um diese Dynamiken zu erfassen, betrachteten wir 272 Regionen in 33 europäischen Ländern. Wir haben nicht nur die Unterschiede zwischen Staaten, sondern auch die erhebliche Heterogenität innerhalb dieser Länder beobachtet: von dynamischen Zentren wie Paris, Stuttgart oder Oberbayern bis hin zu zurückliegenden Peripherien in Süditalien oder Osteuropa.
Entscheidend ist, dass wir über einfache Patentzählungen hinausgehen. Während Patentbestände einen Maßstab für die Quantität von Innovation darstellen, erfassen sie nicht deren gesamte Komplexität.
Wir betrachten daher zusätzlich die Qualität von Patenten, gemessen an der Zahl der Vorwärtszitationen; ihre Einbettung in internationale Wissensflüsse, erfasst durch Rückwärts- und Vorwärtszitationen; sowie die Breite der Innovation, gemessen am Theil-Index der Konzentration über technologische Felder. Zusammen ermöglichen diese Indikatoren eine differenzierte Charakterisierung: nicht nur, wie viel Innovation Regionen hervorbringen, sondern auch wie einflussreich, vernetzt und diversifiziert sie ist.
Wann Innovation Arbeitsplätze schafft
Unsere Ergebnisse zeigen drei zentrale Mechanismen.
Erstens: Regionen, die intensiver innovieren, weisen eine höhere Beschäftigung auf. Die Elastizität ist zwar moderat, aber robust: Ein Anstieg der Patente um 10 Prozent geht mit einem Beschäftigungszuwachs von etwa 0,6–0,7 Prozent einher. Entscheidend ist zudem die Qualität der Innovation. Stark zitierte Patente erzeugen deutlich größere Beschäftigungsgewinne, da sie stärker verbreitet und angewendet werden.
Zweitens: Konnektivität ist entscheidend. Regionen, deren Patente auf Wissen anderer Regionen aufbauen und selbst häufiger zitiert werden, erzielen klar bessere Beschäftigungsergebnisse. Die Einbettung in globale Wissensnetzwerke vervielfacht die Beschäftigungsgewinne. Isolierte Innovationssysteme können zwar Patente hervorbringen, ihre Fähigkeit zur Schaffung von Arbeitsplätzen ist jedoch deutlich geringer.
Drittens: Konzentration schwächt die Resilienz. Regionen, die sich eng auf nur ein oder zwei technologische Felder spezialisieren, verzeichnen niedrigere Beschäftigung. Sowohl die Zahl der aktiven Felder als auch die Gleichmäßigkeit der Aktivitäten innerhalb dieser Felder sind ausschlaggebend. Vielfalt federt Schocks ab, begünstigt Querverbindungen und trägt zu nachhaltigem Beschäftigungswachstum bei. Übermäßige Spezialisierung hingegen macht Regionen anfälliger für Marktschwankungen und technologische Obsoleszenz.
Ungleiche Gewinne nach Arbeitnehmern und Sektoren
Die positiven Effekte der Innovation auf die Gesamtbeschäftigung sind ungleich verteilt. Besonders profitieren Hochqualifizierte. Ingenieur:innen und Naturwissenschaftler:innen – die „Techies“ – stehen an vorderster Front bei der Einführung und Verbreitung neuer Technologien. Für sie übersetzt sich Innovation direkt in Beschäftigungsgewinne.
Für Beschäftigte mit mittlerer Qualifikation sind die Effekte deutlich schwächer. Für Geringqualifizierte bleiben sie minimal oder sogar negativ. Innovation schafft also insgesamt Arbeitsplätze, birgt aber das Risiko, die Ungleichheit innerhalb der Arbeitsmärkte zu verschärfen.
Auch zwischen den Sektoren zeigen sich Unterschiede. In der Industrie, wo Patente zentral für Wettbewerbsfähigkeit sind, führt Innovation zu deutlichen und nachhaltigen Beschäftigungszuwächsen, die auch nach drei bis fünf Jahren sichtbar bleiben.
In den Dienstleistungen hingegen ist der Einfluss schwächer. Innovationen sind dort weniger häufig patentiert, unterliegen schnellerem Wandel und veralten rascher. In diesem Bereich wirkt sich nicht die Menge der Patente, sondern die Breite der Innovationsaktivitäten stärker auf die Beschäftigung aus.
Eine geteilte Landkarte europäischer Innovation
Die Innovationsgeographie Europas ist stark ungleich. Lediglich 22 Regionen sind für mehr als die Hälfte aller Patente verantwortlich. Île-de-France konkurriert allein mit ganzen Staaten in der Patentproduktion. Stuttgart und Oberbayern dominieren in Deutschland, während Irland und die Niederlande durch günstige Rahmenbedingungen zu wichtigen Knotenpunkten wurden. Periphere Regionen hingegen bleiben schwach innovativ, weniger global vernetzt und stärker auf wenige Felder konzentriert. Dort sind Beschäftigung und Arbeitslosigkeit entsprechend schlechter.
Auch die technologischen Felder entwickeln sich ungleichmäßig. Zwischen 2011 und 2021 expandierten Mikro- und Nanotechnologie sowie digitale Kommunikation rasch, während Pharmazie und Telekommunikation schrumpften. Erfolgreiche Regionen sind nicht unbedingt jene mit enger Spezialisierung, sondern solche, die flexibel zwischen Feldern wechseln können. Agilität, nicht statischer Vorteil, prägt Resilienz in der Innovationsökonomie.
Politische Implikationen
Die Ergebnisse zeigen klar: Innovation führt nicht automatisch zu Beschäftigung, ihre Wirkung hängt von Struktur und Kontext ab. Soll Innovation ein Motor inklusiven Wachstums werden, muss europäische Politik drei zentrale Punkte beachten.
Erstens: Breite zählt. Europäische Strategien betonen häufig Smart Specialisation, also die enge Fokussierung auf bestehende Stärken. Unsere Ergebnisse mahnen zur Vorsicht: Überkonzentration schwächt die Beschäftigungseffekte. Politik sollte Diversifizierung über technologische Felder hinweg fördern, um Resilienz aufzubauen und Querverbindungen zu nutzen.
Zweitens: Konnektivität ist unverzichtbar. Die größten Beschäftigungsgewinne erzielen Regionen, die tief in internationale Wissensnetzwerke eingebettet sind. Dies erfordert die Förderung grenzüberschreitender Forschungskooperationen, den Abbau von Hürden bei internationalen Patenten und eine stärkere Integration europäischer Firmen und Forscher:innen in globale Wertschöpfungsketten des Wissens.
Drittens: Inklusivität darf nicht dem Zufall überlassen werden. Ohne flankierende Maßnahmen profitieren vor allem Hochqualifizierte und die Arbeitsmarktspaltung verschärft sich. Bildung und Weiterbildung müssen daher integraler Bestandteil der Innovationspolitik sein. Lebenslanges Lernen, berufliche Qualifizierung und aktive Arbeitsmarktpolitik sind unverzichtbar, um sicherzustellen, dass technologische Veränderungen alle Arbeitnehmer:innen erreichen.
Schließlich darf Europa seine industrielle Basis nicht vernachlässigen. Die Beschäftigungsgewinne der Innovation sind in der Industrie am stärksten und dauerhaftesten. Industriepolitik sollte daher den Aufbau innovativer Cluster fördern, die Forschungskapazitäten, qualifizierte Arbeitskräfte und internationale Vernetzungen verbinden.
Fazit: Innovation gestalten, um Zusammenhalt zu sichern
Innovation bleibt Europas stärkster Hebel, um Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit in einer turbulenten Weltwirtschaft zu sichern. Doch sie erfüllt ihr Versprechen nur, wenn sie gezielt gestaltet wird. Hochwertige, global vernetzte und diversifizierte Innovationssysteme schaffen Beschäftigung und Resilienz. Eng gefasste, isolierte und konzentrierte Systeme tun dies nicht.
Die politische Aufgabe besteht darin, Innovationsökosysteme zu entwerfen, die breit, vernetzt und inklusiv sind. Dazu gehört die Förderung technologischer Vielfalt, die Einbettung in globale Wissensflüsse, Investitionen in benachteiligte Regionen und die Qualifizierung von Arbeitskräften aller Niveaus. Andernfalls droht ein Europa, in dem Innovation Ungleichheiten und regionale Spaltungen verschärft.
Die Weichenstellungen sind entscheidend. Innovation wird Europas Wettbewerbsfähigkeit, seinen sozialen Zusammenhalt und seinen Wohlstand bestimmen. Richtig gestaltet, kann sie Wachstum und Beschäftigung in allen Regionen und für alle Arbeitnehmer:innen antreiben. Wird sie falsch ausgerichtet, laufen wir Gefahr, große Teile des Kontinents zurückzulassen. Die Wahl liegt bei uns.
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