Frau Kujawa, was möchten Sie mit Youro erreichen?
Wir haben mit Youro den ersten Marktplatz für EU-Produkte gegründet. Das heißt, wir haben eine Plattform für die lokale Wirtschaft geschaffen, auf der wir europäische Marken und Produkte sammeln und vorstellen, um diese für Endverbraucher zugänglich und sichtbar zu machen. Kurzum: Youro zeigt, was in der Europäischen Union produziert wird.
Wir akquirieren für unseren Online-Shop ausschließlich Partnermarken aus der EU, da es dort hohe Ansprüche an die Produktion und an die Produktqualität gibt – sowohl technischer als auch ethischer Natur. Es würde sich kaum lohnen, ein Billigprodukt in der EU herzustellen. Die hohe Qualität führt zudem dazu, dass die Produkte langlebiger sind. Viele unserer Marken legen auch Wert auf nachhaltige Aspekte, zum Beispiel auf plastikfreie Verpackungen oder recycelte Materialien. Sie sind ebenso um kurze Transportwege bemüht, was nicht selbstverständlich am Markt ist.
Was bedeutet für Sie made in der EU?
Der zentrale Schritt der Wertschöpfung muss hier geschehen. Welcher das ist, unterscheidet sich natürlich von Produkt zu Produkt. Für Kleidung haben wir den Schnitt- und Nährprozess als zentral definiert. Bei Eisenwaren den Guss und die Veredelung. Das machen wir in Markenprofilen, in kurzen Steckbriefen, transparent. Wir zeigen ebenfalls, woher Vormaterialien kommen. So möchten wir den Konsument:innen ermöglichen, selbst zu entscheiden, ob ihnen die Produktion lokal genug ist oder nicht.
Unsere Partnermarken sind vertraglich dazu verpflichtet, wahrheitsgemäße Angaben zu ihrer Produktion zu machen. Zudem gibt es unter jedem Markenprofil einen Meldehinweis. Dort kann uns die Öffentlichkeit Hinweise zukommen lassen, falls die Angaben nicht stimmen – beispielsweise ehemalige Mitarbeitende, Konkurrenten oder Journalisten.
Wie kam es zu der Idee?
Vor einigen Jahren habe ich meinen Van zu einem Camper umgebaut. Allerdings dominieren Niedriglohnimporte die Sichtbarkeit am Markt und die Produktionsbedingungen sind zumeist intransparent. Ich wollte aber keine Produkte nutzen, die nicht meinen ethischen Werten entsprechen. Stattdessen habe ich versucht, lokaler zu konsumieren. Das erwies sich allerdings als schwierig: Egal, wo ich geschaut habe, es gab online überall die gleichen Produkte von den gleichen Herstellern. Das war unglaublich frustrierend.
Und da habe ich mich gefragt: Wie kann das sein? Wir haben mit der EU eine so tolle und einzigartige Wertegemeinschaft geschaffen. Das sollte sich auch im Handel widerspiegeln. Und deshalb haben wir Youro geschaffen.
Gab es ein prägendes Erlebnis, das Sie zum Gründen motiviert hat?
Ich komme aus einer klassischen Arbeiterfamilie: Meine Eltern kamen in den Achtzigern aus Polen nach Deutschland. Meine Schwester und ich sind die erste Generation, die hier geboren wurde und auch die erste, die studiert hat. Dass Unternehmertum überhaupt eine berufliche Option ist, war mir lange nicht bewusst. Dafür fehlten die Rollenvorbilder: sowohl im privaten Umfeld, im Bildungssystem, in der medialen Präsenz – was sich heute gebessert hat. In der Schule wird man darauf vorbereitet, zu studieren. Im Studium bereitet man dich auf die Arbeit in bestehenden Unternehmen vor. Aber niemand zeigt dir, wie man solch ein Unternehmen gründet – oder dass es überhaupt ein realistischer Weg sein kann.
Der Wendepunkt kam durch eine Ringvorlesung zum Thema Entrepreneurship im Masterstudium, die von einer engagierten Dozentin studiengangsoffen organisiert wurde. Dort habe ich zum ersten Mal Gründer:innen kennengelernt, ihre Geschichten gehört – und mich in den beschriebenen Persönlichkeitsprofilen sofort wiedererkannt: flexibel, stressresistent, kreativ, generalistisch. Ich wusste plötzlich: Das bin ich. Das kann mein Weg sein. Ohne diesen Kontaktpunkt hätte ich vermutlich nie gegründet. Der Satz „You can’t be what you can’t see“ trifft es für mich ziemlich genau.
Sie sind eine junge Gründerin. Haben Sie das als Vorteil oder als Nachteil empfunden?
Es tut sich viel im Bereich Female Empowerment – von Netzwerkevents über gezielte Förderformate bis hin zu VC-Fonds für Gründerinnen. Diese Bewegung ist wichtig und grundsätzlich positiv. Gleichzeitig empfinde ich die Umsetzung ambivalent: Die starke Betonung auf female kann unbeabsichtigt auch zu einer neuen Form der Trennung führen.
In Gesprächen werde ich oft direkt an Venture-Capital Firmen verwiesen, die ausschließlich in weibliche Teams investieren – mit dem Subtext: „Du bist Gründerin, dann gehörst du dorthin.“ Dass diese Fonds nur einen Bruchteil des gesamten Finanzierungsvolumens ausmachen, geht dabei unter. Ich glaube nicht, dass echte Gleichheit entsteht, wenn man sie über Parallelstrukturen etablieren möchte. Viel wichtiger sind echte Vorbilder. Dass heute so viele Gründerinnen sichtbar sind, auch in sozialen Medien, ist für die nächste Generation unglaublich wertvoll – mir selbst hat das früher gefehlt.
Wir befinden uns aktuell in einer Art Zwischenlösung. Ich bin überzeugt: Frauen müssen sich gezielt auch in klassischen Gründungsräumen sichtbar machen. Oft wird in Zusammenhang mit den Female Events von Safe Spaces gesprochen. Doch erst wenn Geschlecht kein Kriterium mehr ist – weder explizit noch implizit – werden Frauen auf Gründungsevents nicht mehr „sichtbar gemacht“ werden müssen, sondern einfach da sein.
Wie haben Sie den Gründungsprozess in Deutschland generell erlebt?
Bürokratische Hürden gibt es mit Sicherheit einige. Das könnte alles deutlich schlanker und schneller gehen. Das gilt sowohl für die Verpflichtungen, die Start-ups haben als auch für die Förderanträge, die wir wir stellen können. Tatsächlich hätten wir uns generell mehr Unterstützung von politischer Seite erhofft.
Inwiefern? Was hätten Sie sich von der Politik gewünscht?
Wir haben eine Plattform geschaffen, auf der Produkte aus der EU gebündelt werden. Unsere Geschäftsidee als solche ist daher in gewissem Sinne politisch und relevant für die europäische Wirtschaft. Daher waren wir davon ausgegangen, dass sich Fürsprecher seitens der Politik finden würden, die uns dabei unterstützen, Youro bekannter zu machen. Doch das erweist sich bislang als schwierig, es gibt sehr viel Zurückhaltung. Natürlich ist es berechtigt, dass die Schwelle hin zu Korruption hoch ist. Das muss auch so bleiben. Aber es spricht doch nichts dagegen, mit Start-ups in Kontakt zu treten – besonders, wenn sie einen Impact haben.
Wie sehen die zukünftigen Planungen für Youro aus?
Wir möchten langfristig die Wettbewerbsnachteile, die lokale Produzenten haben, ausgleichen. Denn wer aktuell als kleines und lokales Unternehmen produziert, hat diverse Nachteile durch fehlende Skaleneffekte. Die Produktionskosten sind höher, es gibt viele Auflagen im Umwelt- und Arbeitsrecht. Die Margen sind kleiner als bei Unternehmen, die in Niedriglohnländern produzieren – ebenso wie die Marktmacht.
Solche Nachteile möchten wir mit einem kooperativen Ansatz ausgleichen. Das heißt, wir möchten beispielsweise den Einkauf von Vorprodukten für mehrere unserer Marken bündeln und die Konditionen hierfür gemeinsam aushandeln. Aber auch die Werbekosten könnten auf diese Weise für unsere Marken sinken. Hier haben wir kürzlich ein kleines Pilotprojekt gestartet. Eine Videoagentur hat einen Rahmenvertrag mit uns geschlossen, mit dem unsere Marken deutlich bessere Konditionen für Markenspots erhalten. Wir bündeln die Drehs dann, sodass Synergieeffekte entstehen, weil beispielsweise Anfahrtskosten gespart werden können.
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