„Jetzt kommen sie mir auch noch mit Digitalisierung …“ – Wenn Führungskräfte so reagieren, dann meistens nicht, weil sie technikfeindlich eingestellt sind, sondern vielmehr, weil sie in ihrem Arbeitsalltag ohnehin schon frustriert sind und Zukunftsthemen entsprechend zusätzlich belastend statt entlastend empfinden. Damit Führungskräfte ihre wichtige Rolle in Transformationsprozessen spielen können, müssen sie selbst und alle Beteiligten sich darauf besinnen, was wirksame Führung leisten soll: Kooperation ermöglichen.
Erfolgreiche Führungskräfte sorgen dafür, dass Lösungen und Entscheidungen gemeinsam gefunden werden. Wenn wir uns auf diesen Kern einigen können, dann brauchen Führungskräfte keine High Tech-Zauberer, keine genialen Visionäre, keine wagemutigen Pioniere zu sein. Sie leisten ihren entscheidenden Beitrag vielmehr als unermüdliche Vermittler zwischen all‘ denjenigen, die ihre Organisation voranbringen können.
Es sind Gedanken wie diese, mit denen ich versuche, die teils ermutigenden, teils aber auch sehr deprimierenden Ergebnisse des letzten Führungskräfte-Radars einzuordnen. In Kooperation mit Martin Spilker von der Bertelsmann Stiftung und mit Unterstützung von der Ipsos GmbH haben Sabrina Schuster und ich vom Reinhard-Mohn-Institut für Unternehmensführung der Universität Witten/Herdecke vor einem Jahr knapp 1000 Führungskräfte befragt. Bald werden wir die nächste Befragungsrunde starten, doch die letzten Befunde beschäftigen uns weiterhin.
Wie motivierend ist es, hinterherzulaufen?
Anlässlich des diesjährigen Mottos des Reinhard-Mohn-Preises „Innovationskraft stärken. Potenziale fördern.“ fragten wir in unserem Radar, wie die Führungskräfte ihre eigenen Unternehmen und Deutschland insgesamt aufgestellt sehen (vgl. Publikation „Mehr Zweifel als Optimismus“). Zuversicht sieht anders aus. 47 Prozent sehen uns bei innovativen Technologien im Rückstand und 49,4 Prozent stellen in ihren Unternehmen großen Nachholbedarf beim Thema Digitalisierung fest. Immerhin (oder auch „nur“) 60,7 Prozent sagen, dass Digitalisierung ein wichtiges strategisches Thema ist, aber 45,2 Prozent halten die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen nicht für innovationsförderlich. Und auch nur 40 Prozent halten sich als Führungskräfte für gut vorbereitet und 41,1 Prozent glauben, dass sie mit ihren Unternehmen zügig unterwegs sind und alle Mitarbeiter mitnehmen.
Wenn man in einer Umfrage nach Zustimmung oder Ablehnung zu bestimmten Belangen fragt, dann gilt die Antwortmöglichkeit „teils/teils“ eigentlich als die uninteressanteste. Ich finde es aber sehr bemerkenswert, dass bei vielen unserer Fragen zu Innovation und Digitalisierung etwa ein Drittel der Führungskräfte unentschieden waren. Wägen sie noch ab? Haben sie kein klares Bild? Ist es ihnen egal? Man kann jedenfalls nicht davon ausgehen und wohl auch kaum erwarten, dass diejenigen, die derart skeptisch oder überfordert sind, voll motiviert die Zukunftsthemen angehen und Impulsgeber für andere werden. Niemand läuft gerne hinterher und wer sich schon abgehängt fühlt, gibt auch schneller auf. Erst recht, so zeigen unsere Daten, wenn ohnehin schon Zweifel an der eigenen Führungsrolle bestehen, die durch den zusätzlichen Transformationsdruck noch verstärkt werden.
Wie motivierend ist es, gegängelt und blockiert zu werden?
Im allgemeinen Teil des Führungskräfte-Radars ging es darum, wie die Führungskräfte ihre Tätigkeit und ihre Arbeitsbedingungen insgesamt einschätzen, nicht nur bezogen auf Innovationen und Digitalisierung (vgl. Publikation „Führungsmüde“). Wir fanden es bemerkenswert und besorgniserregend, dass 30 Prozent der Befragten hohe Führungszweifel aufwiesen. Im Einzelnen zweifeln 21,4 Prozent, dass sie den eigenen Ansprüchen an eine Führungskraft gerecht werden, und 25,6 glauben, mehr zu einer Gruppe beizutragen, wenn sie von jemand anderem geführt werden, anstatt selbst zu führen. Außerdem sind sich 23,4 Prozent nicht sicher, ob ihnen Führung überhaupt liegt, und 25,6 Prozent empfinden ihre Führungsverantwortung als Belastung.
Wir sollten auf keinen Fall ausblenden, dass die Mehrheit der Führungskräfte in Deutschland diese Belastung und Zweifel nicht so stark empfindet – dazu unten mehr – doch wenn jede dritte Person in einer Führungsrolle verunsichert ist, dann fehlt deren Schwung doch an vielen Stellen spürbar und sie motivieren auch die anderen weniger. Auf jeden Fall lohnt es sich zu verstehen, welche Bedingungen dazu führen, dass Führungszweifel entstehen oder eben nicht.
Unser Führungskräfte-Radar gibt hierzu einige klare, allzu nachvollziehbare, aber auch eindringliche Erkenntnisse: Insgesamt besteht ein stark signifikanter Zusammenhang zwischen Führungszweifeln und schlechten Bedingungen wie Unklarheit und Bürokratie „von oben“ sowie einer negativen Wahrnehmung der eigenen Mitarbeiter „unten“. Man kann sich vorstellen, wie sich Führende und Geführte in Frustrationsspiralen immer weiter demotivieren und die Zweifel sich dadurch weiter verstärken. Bedenkt man nun noch, dass die allermeisten Führungskräfte ja selbst noch jemanden „über sich“ haben, dann gibt es die Frustrationsdynamik womöglich gleich über mehrere Eben. Wer fragt sich da nicht, ob er oder sie überhaupt noch Führungskraft sein will? Geschweige denn, das ambitionierte Zukunftsprojekt starten soll?
Wie motiviert man denn dann, damit Führung gelingt?
Gelingende Führung ist „engagierte“ Führung als Kombination von ergebnisorientiertem und inspirierendem Führungsverhalten. Laut unserer Studie führen nach eigenen Angaben 80 Prozent der Befragten engagiert. Sie unterstützen ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Erfüllung der Arbeitsaufgaben und geben darüber hinaus Möglichkeiten der persönlichen Entfaltung und Entwicklung. Das wirkt, wie wir ebenfalls zeigen können, denn es führt zu Verbesserungen in der Produktivität, Kreativität und Zufriedenheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Befragten, die besonders engagiert führen, sagen übrigens auch eher, dass Führungskräfte auf neue Technologien gut vorbereitet sind, und geben signifikant weniger an, dass es Aufholbedarf gibt.
Die Bedingungen, die engagierte Führung fördern, sind auch die, welche Zweifel und Frust abbauen können, nämlich vor allem: Klarheit in der Unternehmensstrategie und den Aufgaben der Führungskraft, aber ohne unnötige Bürokratie; gelebte Werte und eine vertrauensvolle, wertschätzende Unternehmenskultur; motivierte und begeisterte Mitarbeiter, die auch die Führungskraft in ihrer Rolle unterstützen. Gerade der letzte Punkt verweist aber wieder auf den Teufelskreis, der entstehen kann, wenn die geringe Motivation, die man bei anderen wahrnimmt, die eigene Motivation dämpft. Diese Spiralen müssen erkannt und durchbrochen werden.
Wie motiviert man insbesondere den Führungsnachwuchs?
Obschon man Zweifel und Frust im Allgemeinen und bezogen auf Zukunftsthemen in allen Altersgruppen, bei Frauen und Männern, auf allen Hierarchieebenen und in verschiedenen Branchen findet, treten sie leider bei den Führungskräften der Generation Y – geboren zwischen 1980 und 2001 – deutlich stärker auf. Hierzu kann man sich Sorgen machen, ob nicht viele talentierte Nachwuchskräfte einfach entnervt aussteigen. Was muss passieren, damit sie die Führungsrolle nicht nur annehmen, sondern engagiert ausfüllen? Ich bin überzeugt, dass sich vor allem das Rollenverständnis ändern muss.
Im Allgemeinen ist es für zukünftige Führungskräfte nicht attraktiv, wie die heroischen „Vorbilder“ aus der Baby Boomer-Generation zu werden, die einsame Entscheidungen treffen und dann hart durchsetzen. Die Generation Y ist bereit, Verantwortung zu übernehmen, doch ebenso bereit, die Verantwortung mit anderen zu teilen und gemeinsam etwas zu bewegen. Der Führungsanspruch („Wer führt?“) ist weniger wichtig als der Sinn der Führung („Wo führt das hin?“) sowie vor allem die Flexibilität der Führungsform („Wie führt man in dieser Situation?“). Dieser Ansatz reduziert den Druck auf die einzelne Führungskraft und motiviert zugleich auch die anderen. Führung ist dann eine gemeinsame Leistung mit gegenseitiger Unterstützung; die Grenze zwischen Führenden und Geführten verschwimmt. Jeder kann etwas bewegen.
Wie motiviert man für anspruchsvolle Zukunftsthemen?
Frust und Zweifel vieler Führungskräfte können auch daher rühren, dass man ihnen ständig bescheinigt, dass sie viel zu wenig Ahnung von neuen Technologien haben. Die Presse hält ihnen das vor und auch unser Führungskräfte-Radar könnte den Eindruck erwecken, die Menschen in Leitungspositionen in Deutschland lebten noch hinter dem Mond (nur 40 Prozent sagen, dass sie gut auf digitale Innovationen vorbereitet sind). Wer ein paar Semester Informatik studiert hat oder eine App programmieren kann, gilt hingegen als zukunftsfähiger Führungsnachwuchs. Ganz im Sinne der oben erwähnten gemeinsamen Führung glaube ich, dass es viel motivierender ist, den engagierten Führungskräften zuzugestehen, dass sie keine Tech-Nerds sind und es auch nicht werden müssen. Klar brauchen sie ein gewisses Grundverständnis und vor allem auch Offenheit, aber sie sollten sich darauf besinnen, dass es ihre Hauptaufgabe ist, die Nerds und andere zusammen zu bringen und in ihrer Kooperation zu unterstützen.
Dieses Umdenken in den Führungsformen hin zu einer primär vermittelnden Rolle ist noch aus einem weiteren Grunde mehr als zeitgemäß: Unternehmenskulturen werden immer vielfältiger und das ist auch gut so, weil die Organisationen damit ein größeres Repertoire haben, auf neue Probleme und sich verändernde Umstände zu reagieren (vgl. Publikation „Vielfalt in Unternehmenskulturen“). Dass man mehrere Subkulturen vorfindet, dass teils agil, teils noch bürokratisch gearbeitet wird und dass nicht jedes Projekt gleich abläuft, sind keine Missstände.
Führungskräfte sind aus allen diesen Gründen umso mehr als Vermittlerinnen und Vermittler gefordert – und können in dieser Rolle entscheidende Beiträge leisten. Führen nicht als Vorführen oder Durchführen, sondern als Herbeiführen und Zusammenführen. Wenn Führungskräfte dazu ihrerseits Unterstützung und Raum zum Ausprobieren und Reflektieren bekommen, dann werden auch Innovationen und die digitale Transformation nicht an ihnen scheitern.
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