Der deutsche Staat beschafft jedes Jahr im großen Umfang Waren und Dienstleistungen. Das selbst gesteckte Ziel: Nachhaltigkeitskriterien sollen eine entscheidende Rolle für die Vergabe sein. So soll die öffentliche Beschaffung die nachhaltige Transformation anschieben. Doch das gelingt bislang nicht.
Aktuell werden auf kommunaler Ebene nur 13,7 Prozent der Aufträge unter Einschluss von Nachhaltigkeitskriterien vergeben – Tendenz sinkend. Das ergibt eine aktuelle Studie der Universität der Bundeswehr München im Auftrag der Bertelsmann Stiftung.
Der Staat lässt wichtige Hebel für nachhaltige Entwicklung ungenutzt
Der Staat kauft auf allen Ebenen jedes Jahr für schätzungsweise 350 bis 550 Milliarden Euro Waren und Dienstleistungen ein. Er setzt also nicht nur mit Gesetzen und Förderinstrumenten die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft, sondern tritt über die öffentliche Beschaffung auch selbst als Marktteilnehmer auf. Und das mit einem großen Budget: Es entspricht bis zu 15 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts (BIP).
Durch die öffentliche Beschaffung kann der Staat die Nachhaltigkeitstransformation der Wirtschaft also entscheidend unterstützen. Dieses Potenzial wird von der Politik bereits seit zwei Jahrzehnten gesehen. Es wurden entsprechende Nachhaltigkeitsziele auf verschiedenen Ebenen definiert. Unsere Studie zeigt jedoch, dass es eine große Lücke zwischen den politischen Zielen für eine nachhaltige öffentliche Beschaffung („Intention“) und der tatsächlichen Umsetzung („Action“) gibt.
Obwohl Nachhaltigkeit im öffentlichen Diskurs immer wichtiger wird, sind die unter Nachhaltigkeitsaspekten vergebenen Aufträge durch die Kommunen zwischen 2012 und 2023 von 23,3 Prozent auf 13,7 Prozent massiv zurückgegangen.
Was sind die Ursachen?
Die Studie identifiziert auch Gründe, warum die öffentliche Beschaffung bislang nicht nachhaltig ausgerichtet ist. Es wurden insgesamt 16 Defizite gefunden, die sich auf vier Felder verteilen.
Recht & Regulierung: Es bestehen Unsicherheiten und unzureichende rechtliche Rahmenbedingungen. Obwohl gesetzliche Vorgaben existieren, sind sie oftmals nicht klar oder nicht stringent genug, um nachhaltiges Handeln vollständig zu fördern.
Management & Strategie: In vielen Organisationen fehlt es an einem starken Engagement des Top-Managements für die Beschaffung und einer effektiven Steuerung, um Nachhaltigkeitsziele in den Beschaffungsprozess zu integrieren. Es mangelt an klaren Strategien und Verantwortlichkeiten.
Strukturen & Prozesse: Die bestehenden bürokratischen und organisatorischen Strukturen sind häufig nicht darauf ausgelegt, Nachhaltigkeit effektiv zu verankern. Entscheidungen erfolgen oft auf kurzfristiger Basis. Operative Prozesse sind wenig flexibel.
Märkte & Anspruchsgruppen: Es besteht ein Mangel an nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen, die für Kommunen verfügbar sind. Zudem fehlen oft die Anreize oder der Druck seitens der Anspruchsgruppen und des Marktes, nachhaltige Optionen zu bevorzugen.
Insgesamt konzentrierten sich die Defizite dabei im Ursachenfeld „Management und Strategie“. Als Kernproblem hat sich nicht der fehlende Wille der in den Vergabestellen bzw. Beschaffungsabteilungen beschäftigten Personen erwiesen, sondern vielmehr das fehlende Können. Stellenkegel, Ausbildung, Stellenwert und prozessuale Einbindung der Beschaffungsfunktion selbst in den Beschaffungsprozess sind nicht so ausgerichtet, dass eine strategische und auf Nachhaltigkeit ausgerichtet Beschaffung gewährleistet ist. Unzureichende Fachkenntnisse, fehlende Ressourcen und eine fehlende politische Bereitschaft sind neben weiteren Barrieren wichtige Faktoren, die verhindern, dass die öffentlichen Beschaffung nachhaltiger wird, obwohl das Bewusstsein für die Bedeutung von Nachhaltigkeit wächst.
Was können Kommunen tun?
Kommunen können verschiedene Maßnahmen ergreifen, um die bestehenden Hindernisse abzubauen. Zunächst sollten Nachhaltigkeitskriterien konsequent in die Ausschreibungen aufgenommen und in der Praxis angewandt werden. Die Einführung verbindlicher Vorgaben oder Standards sind zentral. Dafür ist eine klare Definition der Kriterien notwendig. Durch Schulung des Personals und die Etablierung eines aktiven Monitorings können Nachhaltigkeitsziele ebenfalls stärker verfolgt werden.
Ferner sollten Kommunen die vorhandenen rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten aktiv nutzen, beispielsweise durch die flexible Gestaltung von Ausschreibungen durch die Anwendung verschiedener Kriterien. Dies erfordert ein fundiertes Wissen über die rechtlichen Rahmenbedingungen und eine bewusste Entscheidungsfindung, um nachhaltige Zielsetzungen zu verwirklichen.
Weitere Anregungen finden Sie im Paper „Nachhaltigkeit in der öffentlichen Beschaffung“, das Sie hier kostenlos downloaden können.
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