Sebastian Freund
Sebastian Freund
10. Juni 2025

Mentale Barrieren in der KI-Revolution? Wie psychologische Hemmnisse die KI-Integration bremsen

Die deutsche Wirtschaft kämpft mit wachsen­den Herausforderungen. Die KI-Transformation könnte die Innovationskraft neu beleben und dringend benötigte Wachstumspotenziale freisetzen. Die Realisierung aber gestaltet sich in Deutschland schwierig.

Künstliche Intelligenz (KI) wird als eine der bedeutendsten Technologien unserer Zeit gehandelt – mit erheblichen wirtschaftlichen Potenzialen für Unternehmen weltweit. Ähnlich wie frühere Basistechnologien wie Dampfmaschine, Elektrizität oder Internet wird auch der Einsatz von KI mit substanziellen Wohlstandsgewinnen und einem deutlichen Produktivitätsschub in Verbindung gebracht. Dies gilt sowohl für die globale Wirtschaft im Allgemeinen als auch für die deutsche Wirtschaft im Speziellen.

Die deutsche Wirtschaft kämpft mit wachsen­den Herausforderungen, die in eine Rezession und schwächelnde Wettbewerbsfähigkeit münden. Die KI-Transformation als möglicher Schlüssel zur Lösung dieser Probleme könnte die Innovationskraft neu beleben und dringend benötigte Wachstumspotenziale freisetzen. Die Realisierung aber gestaltet sich in Deutschland schwierig: Strukturelle, fachliche und psycho­logische Hemmnisse bremsen eine rasche und verbreitete Einführung von KI. Die Freisetzung des Potenzials wird dadurch verzögert und mög­liche Wettbewerbsvorteile schwinden.

Hemmnisse bei der KI-Adaption

Um die (notwendigen) Produktivitätszuwächse zu heben, ist eine Transformation der Arbeitsweisen deutscher Unternehmen unerlässlich. Jedoch stehen dieser Transformation mehrere Hemmnisse entgegen.

Während strukturelle Hemmnisse auf infrastrukturelle Defizite der deutschen Digitalisierung verweisen, bestehen fachliche Hemmnisse nicht nur im Fachkräftemangel, der aufgrund fehlender beruflicher Entfaltung (Deutschland hat kein Big-Tech-Unternehmen) zu einer Nettoabwanderung von 37 Prozent führt. Auch erscheint es in Deutschland viel schwieriger, das durch Forschung gewonnene Wissen durch Start-ups in die Praxis zu überführen, was sich am geringen Patentaufkommen zeigt.

Psychologische Hemmnisse, auf die in diesem Beitrag der Fokus gelegt wird, sind umso bedeutender, da sie die anderen Hemmnisse bedingen. Wer sich gegen eine digitale Transformation stellt, der wird auch keine Investition in digitale Infrastruktur tätigen oder IT-Ausbildungen priorisieren.

Mentale Barrieren in der KI-Revolution

Nach der Theorie des Innovationswiderstands entstehen mentale Barrieren durch ein sogenanntes „psychologisches Equilibrium“. Es beschreibt den Zustand der psychischen Balance einer (potenziellen) Userin oder eines (potenziellen) Users: Jede neue Information – in diesem Fall gleichzusetzen mit einer Innovation – stellt tradierte Denkmuster und Handlungsweisen in Frage. Es entsteht eine Störung des psychischen Gleichgewichts, die zu Reaktanz führen kann.

Auf den Arbeitskontext übertragen können tradierte Denkmuster als individuelle Herangehensweisen und Problemlösungskom­petenzen von Mitarbeitenden betrachtet werden, die zur erfolgreichen Bewältigung beruflicher Aufgaben beitragen. Die Einführung neuer Methoden und Ansätze zur Erfüllung beruflicher Aufgaben wirken sich stets auf bestehende Arbeitsweisen aus und stellen diese infrage. Das gilt im hohen Maße für KI als Werkzeug, da hier ganze Arbeitsschritte, die zum gewohnten Port­folio des Arbeitsprozesses gehören, ausgelagert werden.

Die Rolle von Erfahrungswissen

Erfahrungswissen ist ein maßgeben­der Prädiktor (eine Variable zur Vorhersage eines Merkmals) für die individuelle Entscheidung, eine Technologie zu nutzen. Demnach steigt die Bereitschaft zur Nutzung digitaler Werkzeuge im Arbeitskontext, wenn bereits eine Erfahrungsbasis existiert.

Beispielsweise zeigen Untersuchungen von Lehramtsstudierenden, dass vor allem „vorhandene Vorerfahrungen und Kompe­tenzen […] über die Nutzung digitaler Medien im Unterricht entscheiden“, die „auch bei berufstäti­gen Lehrkräften als zentrale Rahmenbedingung für den Einsatz digitaler Medien im Unterricht“ gelten. Übertragen auf den unternehmerischen Einsatz von KI bedeutet dies, dass Angestellte insbesondere dann eine Neigung zur Nutzung von KI aufweisen, wenn sie bereits über Vorer­fahrungen hinsichtlich digitaler Anwendungen – also über eine gewisse Digitalkompetenz – verfügen.

Hinsichtlich der Digitalkompetenzen schneiden deutsche Bürgerinnen und Bürger jedoch im europäischen Vergleich unterdurchschnittlich ab: Lediglich 52,2 Prozent weisen digitale Basisfähigkeiten auf. Betrachtet man höhere digitale Fähigkeiten, rangiert Deutschland im EU-Vergleich beinahe als Schlusslicht auf den unteren Rängen. Wer denkt, dass es an der (über-‍)alternden Bevölkerung in Deutschland liegt, der irrt sich zum Teil: Selbst bei 40 Prozent der Schülerinnen und Schüler der 8. Klasse, also eine der neusten Generation der Digital Natives, muss „davon ausgegangen werden, dass [sie] nicht über die Kompetenzen verfügen, die benötigt werden, um selbstbestimmt und erfolgreich an einer digitalen Welt teilzuhaben“.

Es ist plausibel anzunehmen, dass ein psychologisches Equilibrium umso stärker ins Wanken gerät, je größer die Lücke zwischen individuellen und den für die Adaption von KI „notwendigen“ Digitalkompetenzen auseinanderklafft. Deutschland muss also im Vergleich zu anderen europäischen Ländern intensiver in die Digitalbildung der Bevölkerung investieren, um Vorbehalten entgegenzuwirken.

Schwindende Bedeutung traditioneller Bildungssysteme

Die technologische Entwicklung schreitet stetig voran und gewinnt seit dem Launch von ChatGPT im November 2022 (ChatGPT-Moment) rasant an Fahrt. Unternehmen integrieren fortlaufend innovative Dienstleistungen, wodurch sich ständig ein Bedarf an neuen Fähigkeiten ergibt. Be­stehende Bildungssysteme werden den aktu­ellen Arbeitsmarktanforderungen nicht mehr in Gänze gerecht.

Die schwindende Bedeutung traditioneller Bildungssysteme zeigt sich unter anderem in einer zunehmenden Verlagerung von Weiterbildungsangeboten an externe Anbieter sowie in der wachsenden Zahl an Kursen zur Erwachsenenbildung. Eine neue Studie zeigt, dass gegenwärtig die Komplementarität von Fähigkeiten (wie gut eine Fähigkeit mit anderen Fähigkeiten kombiniert werden kann) den Wert des individuellen Humankapitals am Arbeitsmarkt bestimmt. Dabei weisen insbesondere KI-Fähigkeiten eine hohe Komplementarität zu anderen Fähigkeiten auf, da sie in verschiedenen Wissensbereichen einsetzbar sind, die Nach­frage am Arbeitsmarkt hoch ist und sie einen strategischen Wert bieten, sich gegen unvor­hersehbare technologische Veränderungen zu wappnen.

Spezielles Wissen verliert an Bedeutung

Die zunehmende Digitalisierung hat einen Trend hervorgebracht, der durch die sich immer schneller entwickelnde Technologie der künstlichen Intelligenz noch verstärkt wird. Mit jeder neuen Technologie sind Berufe verschwunden, sodass das Wissen, um diese Berufe auszuüben, an Bedeutung verlor. Um der Bedrohung einer zunehmenden Entwertung von Humankapital entgegenzuwirken, hat das Weltwirtschaftsforum die Initiative der „Reskilling Revolution“ lanciert, in der bis 2030 weltweit eine Milliarde Menschen auf künftige Arbeitsmarktanforderungen umgeschult werden.

Diese Bemühung spiegelt auch die Notwendigkeit wider, die jungen Generationen bereits früh in der Schulzeit auf die durch KI veränderten Arbeitsbedingungen vorzubereiten. Fachleute und Impulsgeber gehen davon aus, dass Fähigkeiten wie Datenanalyse, kritisches Denken, Kreativität, Anpassungsfähigkeit und lebenslanges Lernen die Zusammenarbeit mit KI bestimmen werden. Dabei wird es nach Sam Altman in der Zukunft weniger relevant sein, Fachwissen zu besitzen, denn ein Sprachmodell wird immer über mehr Wissen verfügen, es wird vielmehr darauf ankommen, die richtigen Fragen zu stellen.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie technologisch führende Nationen ihre Bildungssysteme für das KI-Zeitalter neu aufstellen – und welche Lehren Deutschland daraus ziehen kann.

Bildung als Schlüssel

KI verspricht nicht nur erhebliche Produktivitätsgewinne, sondern birgt zugleich ein hohes Disruptionspotenzial für ausgewählte Wirtschaftsbranchen. Seit dem „ChatGPT-Moment“ im November 2022 haben sich beispielsweise die Nachfragen nach bestimmten Freelancer-Dienstleistungen deutlich verschoben. Erste Nachweise zeigen: Während leicht durch KI substituierbare Tätigkeiten, wie Schreiben und Übersetzen, teils drastische Nachfragerückgänge verzeichnen, steigt gleichzeitig die Nachfrage nach KI-komplementären Tätigkeiten.

Des Weiteren stellt der Internationale Währungsfonds (IWF) die Prognose auf, dass in fortgeschrittenen Volkswirtschaften kurz- bis mittelfristig bis zu 30 Prozent aller Tätigkeiten von einer massiven Automatisierung betroffen sein könnten, und zwar bei gleichbleibenden Tätigkeitsprofilen.

Für Unternehmen wird es in Zukunft immer wichtiger werden, Personal mit KI-Kenntnissen (ob in der Anwendung oder in der Umsetzung) einzustellen, das sich beispielsweise im Marketing oder Kundensupport schon heute als entscheidender Wettbewerbsfaktor herausstellt. Und auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden sich zunehmend die Frage stellen müssen, ob sie auf sich verändernde Arbeitsmarktbedingungen adäquat vorbereitet sind.

Führende KI-Nationen wie China und die USA sehen in der frühen Schulzeit eine wichtige Stellschraube, um künftige Generationsprofile an diese rasante Entwicklung anzupassen: China verankert in einem interministeriellen Leitfaden die Integration von KI in der Schule, um kritisches Denken und Problemlösefähigkeiten zu schärfen, während die USA mit einer Presidential Executive Order eine frühzeitige Vermittlung (K-12: „kindergarten through twelfth grade“) von KI-Grundlagen, umfassenden Lehrerfortbildungen und eine nationalen Taskforce vorschreibt.

Pläne im Koalitionsvertrag

Laut Koalitionsvertrag der Bundesregierung möchten die verantwortlichen Politikerinnen und Politiker Deutschland als „KI-Nation“ etablieren, „[d]ass bedeutet massive Investitionen in die Cloud- und KI-Infrastruktur sowie in die Verbindung von KI und Robotik“. Demnach wird das ambitionierte Ziel mit dem Fokus auf Infrastruktur und Anwendung flankiert und der Bedarf zur Stärkung digitaler Kompetenzen und KI-Fähigkeiten thematisiert.

Im Kontext der „Nationalen Dekade für Alphabetisierung und Grundbildung“ (AlphaDekade) ist von einer digitalen Grundbildung die Rede. In Anbetracht geringer Digitalkompetenzen deutscher Bürgerinnen und Bürger im Allgemeinen sowie schwindender Kenntnisse der Nachwuchsgeneration im Speziellen ist eine Ausweitung der digitalen Grundbildung in der Bevölkerungsbreite zu befürworten und eine frühe Verankerung im Schulunterricht – angelehnt an das Vorbild führender KI-Nationen – zu empfehlen. Dies würde psychologische Hemmnisse abbauen und helfen, Vorbehalte gegenüber der neuen Technologie zu mindern.

Schon seit Jahrzehnten besteht die Forderung nach technischen Bildungsstandards im Schulwesen, KI ist als ein „neu“ entstandener Teilaspekt von Technik zu betrachten. Eine frühe Verankerung von KI im Schulunterricht ist eine wichtige Grundlage für langfristige und nachhaltige Digitalkompetenzen, die von heute an den Weg für zukünftige Generationen einer deutschen KI-Nation ebnen.

Dieser Blogbeitrag ist eine gekürzte Version des Pesearch Papers ‚Mentale Barrieren in der KI-Revolution? Psychologische Herausforderungen für deutsche Unternehmen‘ von Zweck und Freund.

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