Citizen Science – die Beteiligung von Bürger:innen an wissenschaftlichen Projekten – erlebt einen anhaltenden Aufschwung. In dem vom BMBF geförderten Projekt WTimpact beispielsweise haben Menschen Wildtiere in Berlin ausfindig gemacht und ihre Daten den Forschenden Miriam Brandt, Ute Harms und Till Bruckermann zur Verfügung gestellt. Diese haben im Rahmen des Projekts auch untersucht, was die Bürgerwissenschaftler:innen aus ihrer Teilnahme mitnehmen.
Haben Sie konkrete Punkte festgestellt, in denen Sie als Forschende so ganz anders gedacht haben als die interessierten Bürger?
Miriam Brandt: Wir haben festgestellt, dass die Teilnehmenden sehr engagiert bei der Datenerhebung waren und große Freude daran hatten. Dabei ist dies oft ein Kritikpunkt an Citizen-Science-Projekten, dass Bürger:innen als Datensammler „ausgenutzt“ würden. Daher haben wir den Teilnehmenden des Projekts auch auf unserer Online-Plattform einen relativ umfangreichen Auswertungsbereich zur Verfügung gestellt, in dem sie die Daten selbst analysieren konnten. Das ist aber tatsächlich gar nicht so angenommen worden, wie wir das erwartet hatten. Wir hatten die Tools als Angebot zur Verfügung gestellt, um den wissenschaftlichen Prozess für die Bürger:innen erlebbar zu machen. Tatsächlich kam dies bei den Teilnehmenden aber ganz anders an. Viele gaben uns das Feedback: „Ich habe die Daten doch schon für euch gesammelt, jetzt soll ich die auch noch auswerten?“ Sie hatten nicht den Anspruch, wissenschaftlich tätig zu sein und haben sich selbst eher in der Rolle der Datensammler gesehen.
Ute Harms: Es war vermutlich auch etwas enthusiastisch von uns, anzunehmen, dass sich die Bürger:innen neben ihrer Arbeit, ihren Familien und weiteren Alltagsaufgaben so tief mit den Inhalten des Projekts auseinandersetzen können. Da scheitert es vielleicht auch nicht am Interesse, sondern an den notwendigen Ressourcen. Und man muss auch sagen: Dieser Teil des Projekts setzte eine gewisse Vorkenntnis voraus. Damit haben wir einfach eine sehr selektive Gruppe angesprochen.
Bedeutet das im Umkehrschluss, dass der Einfluss der Bürger:innen auf das Datenerheben beschränkt sein sollte?
Till Bruckmann: Auch wenn die Teilnehmenden in unserem Projekt vor allem daran interessiert waren, die Daten zu sammeln, ist es bei Citizen-Science-Vorhaben doch wichtig, die Bürger:innen noch tiefer in das Vorhaben mit einzubeziehen. Wir nennen das auch epistemische Gerechtigkeit: Jede Person, die etwas zu einem Thema beitragen und sagen kann, sollte auch das Recht haben, dies zu tun. Gerade bei wissenschaftlichen Fragestellungen mit hoher gesellschaftlicher Bedeutung ist das relevant.
Miriam Brandt: Ja, das ist es auf jeden Fall. In diesen Fragestellungen sind die Bürger:innen als Experten zu sehen, da sie meist betroffen von den untersuchten Entwicklungen sind. Daher sollten sie hier unbedingt auch bei der Ausarbeitung der Fragen mitwirken. Insofern kann man keine pauschalen Empfehlungen abgeben – wie das Projekt ausgestaltet sein sollte, hängt immer von der konkreten Forschungsfrage und den zur Verfügung stehenden Mitteln ab.
Was nehmen Bürger:innen denn konkret aus einem Citizen-Science-Projekt mit?
Till Bruckermann: Das ist ein weiteres Argument, die Teilnehmenden stärker in das Forschungsvorhaben einzubinden: der Lernprozess. Je stärker man in anspruchsvollere Aufgaben wie die Datenerhebung eingebunden ist, desto mehr kann man hier auch für den eigenen Horizont mitnehmen. In unserem Projekt hat sich gezeigt, dass Teilnehmende schlussendlich eine positivere Einstellung gegenüber Naturwissenschaften im Allgemeinen hatten. Interessanterweise hatten sie eher dann eine positivere Einstellung, wenn sie lokales Wissen – nämlich über Wildtiere in Berlin – besaßen. Die Teilnehmenden haben gesehen, dass Naturwissenschaften Einfluss auf ihr persönliches Leben haben. Durch diesen persönlichen Bezug haben wir auch viele Interessenten erreicht. Denn generell, dass muss man einfach sagen, ist es eine Herausforderung, die breite Bevölkerung mit einem Citizen Science-Projekt anzusprechen.
Ute Harms: Ja, es hängt eindeutig von der Fragestellung ab, wer sich beteiligt. Daher muss man auch sagen, dass sich aus unseren Ergebnissen keine allgemeingültigen Aussagen zu sämtlichen Citizen-Science-Projekten ableiten lassen. Weil die Forschungsvorhaben einfach so unterschiedlich sind. Einige sprechen eine breitere Bevölkerung an, andere sind ganz spezifisch. Der Erfolg hängt übrigens auch von dem Ziel ab, das die Wissensschaftler:innen verfolgen. Neben der Generierung von Daten kann es schließlich auch darum gehen, Menschen zusammenzubringen, die sich für ein bestimmtes Thema interessieren. Das Ergebnis eines Citizen-Science-Projektes sollte allerdings nicht sein, dass jeder denkt, dass er sich als Wissenschaftler:in betätigen kann.
Miriam Brandt: Genau, so ist es keinesfalls. Um wissenschaftlich tätig zu sein, bedarf es einer hohen und meist auch überaus spezialisierten Expertise. Wenn ich Zuhause Probleme mit dem Herd habe, rufe ich auch den Elektriker und akzeptiere, dass er der Experte für die Reparatur ist und nicht ich. Das Gleiche gilt für Citizen-Science-Projekte: Wissenschaftler:innen haben die Ausbildung und die Fertigkeiten erlernt, zu forschen. Dass Bürger:innen „gleichberechtigt“ mitforschen, wie das manchmal gefordert wird, wird in vielen Fällen so nicht funktionieren – wohl aber, dass Wissenschaftler:innen und Bürgerforschende mit Respekt und gegenseitiger Wertschätzung zusammenarbeiten.
Was braucht es denn, um geeignete Rahmenbedingungen für solche Projekte zu schaffen?
Ute Harms: Ich finde es schade, dass es keine zentrale Stelle gibt, bei der Ergebnisse und Produkte von Citizen-Science-Projekten gebündelt werden. Leider ist der Umgang mit den Forschungsprojekten bisher auch nicht sehr nachhaltig. Es werden wirklich aufwendige und tolle Online-Plattformen gestaltet, um die Projekte durchzuführen. Und nach dem Abschluss verschwinden diese Plattformen in der Versenkung. Natürlich gibt es tolle Erkenntnisse und international rezipierte Publikationen. Aber mit vielen Projekten könnte man weiterarbeiten, wenn dafür ein Umgang gefunden würde. Insgesamt haben unsere Untersuchungen gezeigt, dass Citizen Science-Projekte eine win-win-Situation für alle Beteiligten bieten können – wenn man sie entsprechend gestaltet.
Weitere Informationen zum Thema finden Sie im Artikel „Wie gelingt erfolgreicher Wissenstransfer in Citizen Science-Projekten?“ im Magazin „Transfer & Innovation“.
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