Die Kreislaufwirtschaft ist ein wichtiger Baustein einer nachhaltigeren Wirtschaftsweise. Für ihr Gelingen spielen Netzwerke eine zentrale Rolle, wie Silvan Oberholzer im Interview erläutert. Er arbeitet in der Schweiz am Institute for Strategic Management: Stakeholder View der Hochschule für Wirtschaft Zürich.
Herr Oberholzer, was genau meint Kreislaufwirtschaft?
Die Kreislaufwirtschaft hat zum Ziel, Ressourcen möglichst lange und werterhaltend zu nutzen, um den Ressourcenverbrauch innerhalb der Belastungsgrenzen der Erde zu halten. Hierzu müssen Materialverbrauch, Abfall, Emissionen und Energieverlust so gering wie möglich gehalten werden.
Um das zu erreichen, werden Material- und Energiekreisläufe geschlossen. Das passiert zum Beispiel durch Recycling, Reparaturen, durch Sharing oder auch durch ein Produktdesign, dass eine lange Nutzung der Produkte ermöglicht.
Sie forschen in der Schweiz. Wie geht man dort mit dem Thema Kreislaufwirtschaft um?
Kreislaufwirtschaft gewinnt auch in der Schweiz vermehrt an Bedeutung. Lokale und nationale politische Vorstöße nehmen zu. Trotzdem bestehen noch viele offene Fragen zur Umsetzung der Kreislaufwirtschaft, insbesondere auf der Unternehmensebene.
Als wichtige Grundlage für eine funktionierende Kreislaufwirtschaft müssen wir zum Beispiel besser verstehen, welche Interaktionen in Netzwerken, die verschiedene Stakeholder zusammenbringen, zentral sind. Dieser Frage bin ich mit Prof. Sybille Sachs an unserem Institut nachgegangen.
Welche Rolle spielen denn Netzwerke in der Kreislaufwirtschaft?
Neben zirkulären Geschäftsmodellen und Produktdesigns spielen Interaktionen zwischen verschiedenen Akteur:innen eine zentrale Rolle in der Kreislaufwirtschaft. Sie ist ein dynamisches und kooperatives Business-Umfeld, welches sich durch heterogene Stakeholder Netzwerke auszeichnet.
Solche Netzwerke bestehen aus voneinander abhängigen Stakeholdern, welche sich durch eine starke Interaktion, geteilte Verantwortung, einen gemeinsamen Zweck und daher ein Commitment für gemeinsame zirkuläre Wertschöpfung auszeichnen.
Stakeholder Engagement umfasst die Praktiken sowie die zugehörigen Motivationen und Auswirkungen der Interaktionen zwischen verschiedenen Stakeholdern. Man könnte auch sagen, Stakeholder Engagement ist der Motor zur Umsetzung der Kreislaufwirtschaft. Denn durch Kollaborationen und Kooperationen wird diese „erlebbar“.
Welcher Stakeholder ist denn besonders zentral in der Kreislaufwirtschaft?
Unsere Forschung zeigt auf, dass eine funktionierende Kreislaufwirtschaft viele heterogene Stakeholder wie politische Akteure, Unternehmen verschiedener Branchen, Forschungsinstitute, Kund:innen etc. zusammenbringt. Im Vergleich zur weitverbreiteten linearen Wirtschaft, welche dem Ansatz „Nehmen-Produzieren-Verkaufen-Verbrauchen-Wegwerfen“ folgt, spielen in der Kreislaufwirtschaft insbesondere Konsument:innen eine zentrale Rolle.
Verbrauchende sind dafür verantwortlich, dass durch einen sorgsamen Umgang die Produktlebensdauer maximiert wird und die Ressourcen während des gesamten Produktlebenszyklus in möglichst geschlossenen Kreisläufen erhalten bleiben. Den Konsument:innen kommt dadurch eine aktive Rolle zu: Sie sind beispielsweise dafür zuständig, die Produkte richtig zu entsorgen oder diese mit anderen zu teilen.
Neben diesen wichtigen Stakeholdern sollte auch die Natur als zentraler Stakeholder der Kreislaufwirtschaft gesehen werden.
Können Sie das näher ausführen?
Die Kreislaufwirtschaft ist ein umfassender Ansatz zu nachhaltigem Wirtschaften, welcher die Harmonie zwischen der wirtschaftlichen Tätigkeit und Natur fördert. Wir forschen daher auch zum Natur-inklusivem Stakeholder Engagement. Diese Art von Stakeholder Engagement berücksichtigt die Rollen und Bedürfnisse verschiedener Teile der Natur aufgrund ihrer Betroffenheit in der Unternehmenstätigkeit. Dadurch können diese Teile direkt in Entscheidungen und Prozesse der Unternehmen einbezogen werden.
Und welche Art von Stakeholder Engagement ist besonders wichtig in der Kreislaufwirtschaft?
Wir stellen in unserer Forschung, eine moralische, strategische und pragmatische Logik von Stakeholder Engagement vor.
Moralisches Stakeholder Engagement in der Kreislaufwirtschaft zeichnet sich durch übereinstimmende Werte im Stakeholder Netzwerk aus, welche kreislauffähiges Verhalten fördern. Das können beispielsweise geteilte Vorstellungen zu Nachhaltigkeitsnormen sein.
Strategisches Stakeholder Engagement unterstreicht zudem den innovativen Charakter zirkulärer Stakeholder Netzwerke. Es geht dabei um den Nutzen für die beteiligten Stakeholder in diesen Netzwerken, der zum Beispiel durch umweltfreundlichere und effizientere Produktionsmuster und Konsumgewohnheiten entsteht.
Pragmatisches Stakeholder Engagement in der Kreislaufwirtschaft befasst sich mit inklusiver Partizipation und der notwendigen Koordination von Stakeholder Netzwerken durch geeignete Führung. Die Sensibilisierung von Stakeholdern und ihre Akzeptanz von kreislauffähigen Lösungen sind hierbei zentral und für deren erfolgreiche Umsetzung entscheidend.
Welche Rolle spielt Leadership in den Netzwerken?
Die Werte und Verhaltensweisen von Stakeholdern in zirkulären Netzwerken müssen übereinstimmen. Geeignete Führungskräfte mit transformativen Fähigkeiten sind dabei in der Lage, diese Netzwerke zu koordinieren, Partizipation aktiv zu fördern und eine gemeinsame Vision aufrechtzuerhalten. Dadurch können auch lineare Denkweisen durchbrochen werden.
Solche Leader stärken gemeinsame Entscheidungsfindungen durch das Abwägen der Bedürfnisse der einzelnen Stakeholder mit jenen des gesamten Netzwerks. Darüber hinaus sind unsere Einsichten in Leadership in zirkulären Stakeholder Netzwerken jedoch noch begrenzt.
Wie sehen Sie die Zukunft der Kreislaufwirtschaft in der Schweiz?
Als rohstoffarmes Land kann die Kreislaufwirtschaft die Widerstandsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft stärken und ökologische Innovationen vorantreiben. Zudem kann die Schweiz durch die Umsetzung der Kreislaufwirtschaft einen globalen Beitrag zur Verminderung der globalen dreifachen Umweltkrise leisten: Klimawandel, Verschmutzung und Biodiversitätsverlust.
Die politische Entwicklung mit Vorstößen in Richtung Kreislaufwirtschaft sind zentral für ganzheitliche, kreislauffähige Lösungen. So hat beispielsweise die Stadt Zürich die kommunale Kreislaufstrategie Circular Zürich verabschiedet. Neben dieser positiven Entwicklung auf der systemischen Ebene bilden zudem die immer zahlreicheren und vollständig kreislauffähigen Start-ups in der Schweiz einen wichtigen Treiber der Kreislaufwirtschaft.
Allerdings sind gemäß dem Circularity Gap Report der Schweiz nur knapp 7 Prozent der Schweizer Wirtschaft kreislauffähig. Das bedeutet, dass noch ein beträchtlicher Weg bevorsteht, um ein ganzheitliches Umdenken sowie Verhaltensänderungen aller Akteur:innen in Richtung Kreislaufwirtschaft zu erwirken. Nur so können Konsum- und Produktionsmuster nachhaltiger gestaltet werden. Das Verständnis von Stakeholder Engagement im Kontext der Kreislaufwirtschaft bildet eine wichtige Grundlage hierzu.
Dieser Beitrag erschien in ursprünglicher Version zunächst hier.
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