Idee
Riccardo Annandale, unsplash
Laura Adam
23. Oktober 2024

Interview: „Aus dem Elfenbeinturm kann man nicht die Welt erklären

Laura Adam leitet das Forschungsbüro an der Uni Hamburg. Ihre Vision ist, dass jeder Studierende einmal im Studienverlauf erfährt, welchen gesellschaftlichen Beitrag Forschende mit ihrem Wissen und ihren Kompetenzen leisten können.

Frau Adam, was bedeutet Transfer für Sie?

Wenn wir von Transfer sprechen, dann meinen wir zunächst natürlich den Transfer von Wissen und weniger zum Beispiel den Transfer von Technologien. Wissen, das wir benötigen, um den vielen Herausforderungen, vor denen wir als Gesellschaft stehen – sei es in Bezug auf Klima, Demokratie oder Demographie – gemeinschaftlich bewältigen zu können.

Insbesondere das gemeinschaftliche Erarbeiten von Erkenntnissen ist für uns zentral, sodass in erster Linie die Bedarfe unserer gesellschaftlichen Kooperationspartner für unsere Lehr- und Forschungsprojekte im Fokus stehen. Transfer bedeutet für uns demnach ein beidseitiger Erkenntnisprozess, der aber nur gelingen kann, wenn wir die notwendige Übersetzungsarbeit leisten, damit wir alle im Prozess beteiligten Akteur:innen mit an Bord holen.

Warum ist Transfer gerade heute so wichtig?

Ich glaube, wir sehen an den großen gesellschaftlichen Herausforderungen der letzten Jahre, sei es die Corona-Pandemie oder die Klimakrise, dass es nicht an wissenschaftlichen Erkenntnissen mangelt. Woran meiner Ansicht nach aber eine erfolgreiche Bewältigung der Krisen scheitert, ist eine Übertragung dieses Wissen in die Praxis. Dazu braucht es eine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung mit diesen komplexen Themen, einen lebhaften Austausch und gemeinsame Visionen.

Wissenschaftler:innen können nicht länger aus ihrem „Elfenbeinturm“ heraus die Welt erklären, wenn wir unsere gesellschaftliche Verantwortung als Hochschulen ernst nehmen wollen. Deshalb ist unsere Mission, gemeinsam soziale Innovationen voranzutreiben, die eine nachhaltige gesellschaftliche Entwicklung ermöglichen.

Von diesen Transferaktivitäten profitieren dabei nicht nur unsere Partner außerhalb der Hochschule, sondern auch Forschung und Lehre erhält durch den Praxisbezug einen enormen Mehrwert. Forschende erhalten durch die Transferkooperationen Zugang zu relevanten Forschungsfeldern und Studierende erweitern in den transdisziplinären Projekten ihre Kompetenzen, bilden Kontakte und Netzwerke und erfahren insbesondere den Mehrwert der eigenen Forschungsleistung.

Sie sehen das Forschungsbüro als Nachhaltigkeitsakteurin. Wieso?

Unser Forschungsbüro, das wir kurz ROSI nennen, leistet auf unterschiedlichen Ebenen einen Beitrag, bestimmte Nachhaltigkeitsziele, wie sie in den Sustainable Development Goals der UN definiert sind, zu erreichen. Zum einen unterstützen wir durch die Kooperationsprojekte unsere zivilgesellschaftlichen Partner. Je nach dem Tätigkeitsfeld des Kooperationspartners werden ganz unterschiedliche Nachhaltigkeitsfelder forciert.

In einer Forschungskooperation mit den Hamburger Sporthallen beschäftigen wir uns mit Frage nach barrierearmen Zugängen zu den Sportstätten. Die Zielsetzung Gesundheit und Wohlbefinden findet sich im dritten Sustainable Development Goal wieder. Mit dem Projekt Plietsche Kinderküche des Vereins SchlauFox kümmern wir uns um die Frage, wie gesunde und nachhaltige Ernährung an Schulen vermittelt werden kann. Das wäre Ziel 4 der SDG. Ein weiteres Beispiel ist unsere Arbeit mit der mit der Hamburger Sozialbehörde zur Frage, wie „gute ArbeitW unter Hamburger Arbeitnehmer:innen bewertet wird und welche Rahmenbedingungen es dazu in der Zukunft benötigt. Das wäre Ziel 8, menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum.

Was würden Sie sich für die Zukunft wünschen?

Ich hoffe, dass wir noch mehr Lehrende und Forschende in der Fakultät für unsere Arbeit gewinnen können und einen interdisziplinären Pool an Wissenschaftler:innen mit innovativen Forschungs- und Lehrmethoden weiter aufbauen können.

Auch eine breitere strukturelle Verankerung transferorientierter Lehrformate in den Curricula ist ein Ziel. Meine Vision ist, dass jede:r Studierende mindestens einmal im Studienverlauf an einem Kooperationsprojekt teilnehmen konnte und so erfährt, welchen gesellschaftlichen Beitrag man mit dem eigenen Fachwissen und erlernten Kompetenzen leisten kann.

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