Was uns motiviert, diesen Beitrag zu schreiben? Und warum wir zum Thema „Transfer von innovativen Konzepten aus der Hochschule in die Welt“ etwas beizutragen haben? Wir sind drei Wissenschaftler:innen, die mittlerweile größtenteils (2/3) in Jobs in der freien Wirtschaft angekommen sind. Zuvor arbeiteten wir gemeinsam an der Ruhr-Uni Bochum an einem universitären Forschungsprojekt. Dieses hatte zum Ziel, Konzepte zur Nutzung von Wärme aus Grubenwässern zur Beheizung von Gebäuden zu entwickeln und umzusetzen.
Das Projekt
Kohle wird im Ruhrgebiet keine mehr gefördert. Aber Grubenwasser muss weiter abgepumpt werden, und zwar für immer. Denn dort, wo im Ruhrgebiet früher Kohle unter Tage abgebaut wurde, befinden sich heute viele Hohlräume. Die ehemalige Ruhrkohle AG (RAG) pumpt jährlich Millionen Kubikmeter Wasser heraus, damit es sich nicht mit dem Grundwasser mischt. Dieses abgepumpte Wasser ist rund 20 bis 30 Grad warm – und beispielsweise zum Heizen von Lagerräumen geeignet. Doch es wurde ungenutzt in Lippe, Ruhr und Rhein geleitet.
Im Rahmen des Projektes „Grubenwasser-Ruhr“ sind wir im Jahre 2016 mit dem Forschungsauftrag angetreten, die Wärme aus Grubenwässern (Regenwasser, welches sich in alten Bergbauschächten sammelt) im Ruhrgebiet einer thermischen Nutzung für z.B. die Beheizung von Gebäuden zuzuführen. Dafür war das Forschungsprojekt von Anfang an darauf ausgerichtet, eine Umsetzung von innovativen Konzepten zu erreichen. In der dreijährigen Projektphase zur Konzeptentwicklung wurde bereits eine sich anschließende Umsetzungs- und Monitoringphase vorgesehen. Das Projektkonsortium bestand aus einem Bergbauunternehmen als Zechenstandorteigner, einem Montanunternehmen mit Bergbauexpertise, Beratung für Stakeholderansprachen und Netzwerkmanagement und uns als wissenschaftlichen Partnern.
Zur Wärmenutzung haben wir auf das damals noch sehr neue Konzept der kalten Nahwärme gesetzt. Die Netze erstrecken sich über relativ kurze Strecken und können sowohl Wärme als auch Kälte bereitstellen. Nach der Analyse des gesamten Ruhrgebietes konnten wir drei Standorte identifizieren, an denen die technischen Voraussetzungen für eine Umsetzung gegeben waren. Nach zwei Jahren der Begleitung potenzieller Investoren ist es schlussendlich an keinem der Standorte zu einer Umsetzung gekommen. Warum das so ist, versuchen wir in diesem Beitrag herauszuarbeiten.
Natürlich ist es immer eine Kombination vieler Umstände, die zum Ergebnis führen. Hier aber die aus unserer Sicht wichtigsten Gründe in vermeintlich chronologischer Reihenfolge, die zum Scheitern einer Umsetzung in der realen Welt geführt haben (können).
Gutes Timing ist alles
Zunächst einmal ist es relativ schwierig und erfordert viel Timing(glück), die Zeitpläne eines laufenden Forschungsprojekts mit dem Fortschritt eines Infrastrukturprojektes zu synchronisieren.
Wenn ein Investor einen Bedarf feststellt, beginnt er mit der Entwicklung eines Bauprojekts. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass ein Forschungsteam zu diesem Zeitpunkt mit einer im Rahmen eines Projekts entwickelten Lösung für die Wärmeversorgung der Gebäude um die Ecke kommt. Wenn die Forschungsphase vorbei ist, gibt es niemanden mehr, der den Investoren die Konzepte näherbringt. Sie bleiben in der Schublade.
Bei der öffentlichen Erschließung größerer Neubaugebiete laufen die Prozesse oft langsamer ab, sodass es leichter ist, Forschungskonzepte zu integrieren. Hier ist eher die Vielzahl der Akteure hinderlich.
Bei privaten Erschließungen von Gebäuden sind die Entwicklungszeiträume kürzer. Hier ist es nur selten möglich, den richtigen Zeitpunkt zu erwischen. Außerdem sind private Entwicklungen für Außenstehende oft nicht sichtbar. In diesem Fall war es sehr wertvoll, dass ein Beratungsunternehmen für das Auffinden und Ansprechen solcher Bauentwicklungen und ihrer Akteure Teil des Projektkonsortiums war. Dies ist unseres Erachtens für jedes Forschungsprojekt mit Anwendungsbezug zu empfehlen.
Neue Konzepte bringen Unsicherheit
Neue Konzepte haben einen größeren Erklärungsbedarf. Die Aufklärungsarbeit, damit potenzielle Versorger bzw. Investoren die Konzepte kennenlernen, war jedoch nicht das Problem. Vielmehr tauchten während der Entwicklungsphasen immer wieder Parteien auf, die gegensätzliche Ideen einbrachten und so den Wind bei allen Projektbeteiligten drehten. „Das ist ein bekanntes Konzept“ und „Das haben wir schon immer so gemacht“ – prominente Vertreter einer Reihe an Argumenten, die uns entgegengebracht wurden. Dies ist ein Punkt, von dem man meinen könnte, dass er niemals zum Abbruch eines guten Projekts führen kann. So ist es jedoch an einem Umsetzungsstandort passiert. Immerhin wurden unsere Vorschläge in ein altbekanntes Konzept integriert und es führte nicht zu einem kompletten Abbruch.
Es gibt ein finanzielles Risiko
Im konkreten Fall handelte es sich um ein Forschungsprojekt im Bereich der Infrastrukturentwicklung. Zur Umsetzung solcher Konzepte sind enorme Investitionen mit für die Energiewirtschaft typischen langen Abschreibungszeiträumen notwendig. Üblicherweise hilft in diesem Zusammenhang eine Förderung der Investition, um das Risiko abzufedern.
Leider war die Förderlandschaft (das 6. Energieforschungsprogramm) damals so aufgebaut, dass nur ein sehr geringer Anteil der Investition gefördert wurde. Heute ist die Förderlandschaft mit Programmen wie der Bundesförderung für effiziente Wärmenetze oder den Reallaboren der Energiewende deutlich weiter. Die schlechte Umsetzungsförderung befeuerte die Unsicherheiten der potenziellen Umsetzer zusätzlich.
Viele Köche verderben den Brei
An (größeren) öffentlichen Entwicklungen sind viele Akteure beteiligt. Breitete sich bei einem Akteur eine Unsicherheit aus, zum Beispiel aufgrund des Investitionsrisikos oder der Neuheit des Konzeptes, übertrug sich diese oft auf die weiten Projektbeteiligten. In diesem Fall fehlte den potenziellen Umsetzern der Mut zur Umsetzung oder der Glaube an die Konzepte gegenüber den Meinungen der anderen Akteure.
CO2-Emissionen haben einen zu niedrigen Preis
Wenn der Umsetzungsstandort die oben genannten Hemmnisse überstanden hat, kommt die vermeintlich letzte und zugleich größte Hürde: Die Konkurrenz mit tagesaktuellen, schwer prognostizierbaren Energiemärkten. Wir schreiben das Jahr 2019. Corona und Gaskrise, auf Grund des Überfalls Russlands auf die Ukraine, waren noch in einigermaßen weiter Ferne. Der Strompreis bewegt sich zu dieser Zeit bei stabilen 30 ct/kWh und der Gaspreis bei ca. 4-6 ct je kWh Erdgas.
Die vorgeschlagenen Konzepte zur Nutzung der Grubenwasserwärme pendelten sich bei einem Arbeitspreis ein, der in etwa der Höhe des Gaspreises entsprach. Dazu sei gesagt, dass für das vorgeschlagene Konzept basierend auf der Wärmepumpentechnologie geringe Kostensteigerungen aufgrund der sehr hohen Effizienz zu erwarten waren. Dies wurde rechnerisch nachgewiesen und den Akteuren vorgestellt. Die jedoch im Vergleich zu bekannten fossil-basierten Wärmelösungen höheren Anfangsinvestition brachte oft das Gegenargument. Auf die geringeren Betriebskosten, die die höheren Anfangsinvestitionen in verschiedenen Szenarien hätten amortisieren können, wurde damals nur ungerne geschaut.
Ohne in die Details abzurutschen – das sind Entscheider in der Regel auch nicht – hatte der niedrige Gaspreis zusammen mit einfachen und bekannten Systemen basierend auf der Verbrennung von Erdgas für mögliche Investoren eine sehr anziehende Wirkung in der Entscheidungsfindung. Es fehlte – und fehlt auch heute noch – ein finanzieller Anreiz zum Klimaschutz.
Das Emissionshandelsgesetz hat hier einen ersten Denkprozess angestoßen. Um finanzielle Entscheidungen zu beeinflussen, sind CO2– Emissionen aber deutlich zu niedrig bepreist. Wir waren an einem Standort soweit, dass die lokalen Stadtwerke auf unseren Konzepten aufbauend Angebote zu Wärmeversorgung erstellt haben. Als Preisbasis diente der lokale Fernwärmetarif auf Basis fossiler Energie. Der Kunde hat sich leider für den damals billigeren Gaskessel entschieden.
Ideologische Beweggründe, wie der Schutz des Klimas oder der Erhalt von Artenvielfalt etc. werden zwar nach außen von jedem gewünscht, als Selbstverständlichkeit angesehen und teilweise auch zu Werbezwecken propagiert. Doch kommt es dann zu einer Investitionsentscheidung, sind diese Faktoren wie weggewischt und es entscheidet einzig und allein die nackte Wirtschaftlichkeit. Kurzsicht und das Ignorieren von anderen Faktoren (externe Kosten als ein Beispiel) führen zu diesen aus der Retroperspektive nicht optimalen Entscheidungen.
Aus heutiger Sicht lässt sich dies mit dem Wissen um sich anschließende Preiskrisen und Versorgungsabhängigkeiten einzelner Energieträger relativ einfach analysieren. Natürlich stehen den Entscheidern zum Zeitpunkt der Entscheidung diese Informationen nicht zur Verfügung, dennoch sollte die reine Wirtschaftlichkeit niemals die einzige Entscheidungsgrundlage sein. Das Trilemma aus Energiewirtschaftlichkeit, Versorgungssicherheit und Umweltschutz – wird dadurch niemals aufgelöst werden. Es sollten aber Entscheidungen mit einem ausgewogeneren Verhältnis weg von der Wirtschaftlichkeit hin zu den anderen Dimensionen getroffen werden. Diesen Dogmenshift konnten wir die letzten drei Jahre – glauben wir – ziemlich gut beobachten und müssen nun daran arbeiten, dass nicht in alte Muster zurückgefallen wird.
Mittlerweile sind Konzepte der Kalten Nahwärme anerkannt und gefragt und auch erste Indizien auf das Umschwenken mancher Entscheidungen von damals sind heute schon zu erkennen. So wurde an einem Standort bereits das Interesse an der erneuten Aufnahme von Gesprächen und Untersuchungen hinsichtlich der Versorgung mittels Grubenwasser durch die Gaspreiskrise wie von neuem entfacht. An einem anderen Standort wird die Integration der Wärmequelle Grubenwasser weiter verstetigt. Und wer weiß: Vielleicht wird es dann auch bald eine großflächige Nutzung von Grubenwasserwärme im Ruhrgebiet oder woanders auf der Welt geben.
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