Wie man es nicht machen sollte. Der Fall der deutschen Automobilindustrie
Tradierte Industrien wie die Autoindustrie erfahren zur Zeit, was digitale bzw. digital unterstützte Disruption bedeutet. Dabei hatte die deutsche Autoindustrie bereits im Jahre 1968 – damals mit Blick auf die Luftverschmutzung durch Autoabgase – den Elektromotor und die Brennstoffzelle anscheinend fest im Blick:
Der SPIEGEL damals: „Befürchten Sie nicht, daß Konkurrenten in der Entwicklung zukünftiger Antriebsarten wie etwa durch Brennstoffzelle oder Elektromotor eines Tages einen uneinholbaren Vorsprung haben werden? Was unternahm das finanzstarke VW-Werk auf dem Forschungsgebiet Brennstoffzelle?“
Antwort Volkswagen-Chef LOTZ: „Keine Sorge, wir werden uns nichts entgehen lassen, wir sind bereit.“
Die Auto-Produzenten hatten also mindestens 50 Jahre Zeit für die Einführung dieser neuen Antriebsart und Energiebereitstellung. Damit zeigt das Beispiel der deutschen Autoindustrie überdeutlich, dass trotz aller Innovationspolitiken, staatlicher Innovationsprogramme oder vergangener Forschungsprogramme (Stichwort: Batterie- und Wasserstoffforschung) ein Hemmnis vorgelegen haben muss, welches damit einher ging, dass Konzern-Vorstände die Bedeutung der Software gegenüber der Hardware (Auto), die ökologische Debatte um die Zukunft der Mobilität (bzw. der Antriebsart) und das Bedrohungspotenzial von StartUps für die eigene Produktion massiv unterschätzt oder ganz einfach nicht wahrgenommen haben. Die Antwort mit einem aus Abfällen und altem Fett gewonnenen Diesel kann jedenfalls nicht ausreichend sein. Würde man an entscheidender Position ganzheitlicher denken, wüsste man, dass die Menschen angesichts der Klimakrise größere Innovationen erwarten. Standen vielleicht zu viele Jahre lang bloße Gewinnmaximierungen und Kostenreduktionen den qualitativen Sprunginnovationen im Weg? Hat man den Übergang von Shareholder- zum Stakeholder-Ansatz und den Blick auf die SDG-Indikatoren verpasst?
Neue Akteure fordern angestammte Geschäftsmodelle heraus
Wie sieht das Ergebnis dieser Fehleinschätzung aus? Tesla eröffnet eine Giga-Factory vor den Toren Berlins, nachdem noch vor gar nicht langer Zeit der temporäre Audi-Vorstand Schot sich klar geäußert hatte:
„Tesla ist als Benchmark für uns nicht relevant, und zwar weder in Europa, noch in China oder Amerika.“
Auf der einen Seite haben die ehemals mit der Entwicklung des i3 und i8 betrauten BMW-Manager ihre eigenen StartUps Byton und Canoo gegründet. Die US- und chinesischen StartUps wollen Autos anbieten, die das bi-direktionale Laden zulassen und damit eine Idee aufgreifen, die Elon Musk bereits vor inzwischen vier (!) Jahren auf einer Keynote vorgestellt hat: Die Integration des Autos in das Energiemanagement des eigenen Hauses. Und schließlich brechen branchenfremde Akteure wie Google und Waymo in den angestammten Markt ein und definieren Mobilität über autonom agierende Autos vollkommen neu.
Auf der anderen Seite und in diesem (international) höchst innovativen Umfeld wird BMW in 2020 kein neu entwickeltes eAuto anbieten. Die Reichweite des neuen Premiummodells von Porsche liegt weit unter den Werten eines Tesla. Einzig Volkswagen hat sich zwischenzeitlich – vielleicht auch aufgrund der Erfahrungen mit dem Dieselskandal – klar und prominent zum Wandel der Mobilität hin zur Elektrifizierung bekannt, während die anderen Autobauer auf der sogenannten Technologieoffenheit beharren. Die StartUp-Versuche von Volkswagen wie beispielsweise MOIA sind im Gegensatz zu den Ansätzen von BMW und Daimler auch noch nicht eingestampft worden.
Wann kippt der Markt?
Ähnlich der Erfahrungen mit dem plötzlich umschlagenden Konsumentenverhalten bei vorherigen digitalen Disruptionen (VHS/DVD, analoge/digitale Fotografie, Nokia/iPhone) ist auch bei den Autos davon auszugehen, dass die Konsumentenpräferenz irgendwann einen Punkt erreicht, ab dem „das Alte“ nicht mehr zu verkaufen ist. Bereits heute würden sich 72% der Autokäufer hierzulande lieber für einen alternativen Antrieb entscheiden, wenn es sie denn ins ausreichender Auswahl gäbe.
Ab dem Kipppunkt werden Autohersteller, die kein passendes Sortiment anbieten können, den Markt verlassen müssen. In Norwegen ist bereits heute jede zweite Neuzulassung ein eAuto, in Deutschland liegt deren Anteil bei neuen Autos bei gerade einmal 1,6%. In Norwegen ist der Markt nach einer Anfangsphase, die wie in anderer Form in China auch durch staatliche Steuer- und Gebührennachlässe in Höhe von 50 % des Kaufpreises überwunden wurde, am kippen. Wann geschieht dasselbe in Deutschland? Tragisch hierbei: Der Wandel der Mobilität, des Antriebs und die sich verändernde Gewichtung der Software zur Hardware (Auto) gehen Hand in Hand. In keinem Bereich sind deutsche Unternehmen Weltmarktführer.
Automobilindustrie mit langer Leitung. Foto: © Menno de Jong – Pixabay
Sechs Handlungsfelder für eine erfolgreiche digitale Transformation erkennbar
Woran aber kann es liegen, dass eine solche betriebliche digitale Transformation verschlafen wurde? In der Bertelsmann Stiftung beschäftigt sich das Projekt „Betriebliche Arbeitswelt in der Digitalisierung“ mit der Suche nach den Faktoren, die eine erfolgreiche betriebliche digitale Transformation ausmachen. Es gibt aus Projektsicht sechs Handlungsfelder in den Unternehmen, die den digitalen Wandel vorantreiben oder eben auch behindern können.
- Der digitale Wandel wird häufig als alleinige Aufgabe der IT-Abteilung betrachtet statt vom Vorstand als strategische Gesamtaufgabe gesehen zu werden.
- Bisher erfolgreiche Geschäftsmodelle wiegen den Vorstand in falscher Sicherheit. Es besteht bei den Entscheidern keine Kompetenz, branchenfremde Gefahren zu erkennen.
- „Bunte Vögel“ werden von den „grauen Wölfen“ behindert. Neue Ideen durch neue Arbeitnehmer oder Führungsmenschen haben aufgrund interner Beharrungskräfte kaum Chancen, intern umgesetzt zu werden.
- Führung verweigert sich dem Wandel des Selbstverständnisses weg vom Bestimmer hin zum Coach und den damit einhergehenden Änderungen der eigenen Rolle und des eigenen Status.
- Angestammte Rolleninhaber haben kein Interesse daran, die dringend notwendige Trennung zwischen Innen und Außen aufzuheben. Diffusion neuer Ideen durch Freelancer kann nicht stattfinden.
- Digitale Arbeitskultur (Offenheit, Transparenz, Augenhöhe, Partizipation, mobiles Arbeiten) hat keine Chance auf Umsetzung, da diese vom Vorstand nicht vorgelebt wird.
Innovativ denkende Menschen statt Innovationsprogramme
Bei all diesen Handlungsfeldern steht immer ein Mensch im Fokus. Meist ist es der Führungsmensch bzw. Vorstand, der durch das Vorleben von Neugierde und Offenheit für Neues, das Setzen von Leitplanken, das Coachen, das Gewähren von Ressourcen oder das Infragestellen überholter interner Prozesse „Ermöglicher“ des Wandels werden kann. Im positiven Fall hat der Vorstand (und wie immer auch die Geschäftsführung) das Potenzial, den Wandel durch sein eigenes Handeln maßgeblich voranzubringen. Im negativen Fall (der Autoindustrie) ist es aber auch der Vorstand, der jahrelang Innovationen deckelt, die dringend notwendig wären, um in einem kompetitiven Umfeld bestehen zu können.
Leider ist ohne eine innovativ denkende Führung alles nichts. Denn für die ihm „unterstellten“ Menschen, die in den üblichen Hierarchien unterhalb der Ebene stehen, ab der Erfolg auch mit entsprechenden Gehaltszuwächsen belohnt wird, lohnt sich innovatives Denken und Handeln ohne diese Einbettung in den Gesamtkontext per se nicht. Ein entsprechender Vertreter dieser Leitungsebene wird immer betonen, dass Innovationen im engeren ökonomischen Sinne erst dann als solche zu bezeichnen sind, wenn neue Ideen auch zu neuen Prozessen, Produkten oder Dienstleistungen führen. Dafür trägt er aus seiner Sicht letztlich die prozedurale und rechtliche Verantwortung und daher ist ein erfolgsabhängiges Gehalt auch gerechtfertigt.
Aus unserer Sicht fangen Innovationen in den Köpfen aller in einem Unternehmen tätigen Menschen an und sind in ihrem Entstehen unabhängig von staatlichen Innovationspolitiken und -programmen. Diese können bereits laufende Innovationen aber natürlich zu einer erfolgreichen marktreifen Skalierung verhelfen. Das eigenständige Denken eines Vorstandes, der um die Notwendigkeit des Wandels weiß und seinen Beschäftigten Freiraum gewährt, übernehmen sie aber nicht.
Wie betonte noch gleich der neue BMW-Vorstand Zipse: „Die angeblichen Vorteile einer reinen batterieelektrischen Architektur sind kaum wahrnehmbar. Er (der Kunde) will von uns einen echten BMW, unabhängig von der Antriebstechnologie.“
Vielleicht lagen ihm die norwegischen Zahlen noch nicht vor…
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