Deutschland soll zum KI-Standort werden. So wurde es auch vom Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt in einer Hightech Agenda Deutschland skizziert, die kürzlich gestartet ist. Doch kann das gelingen? Patrick Glauner ist Professor für Künstliche Intelligenz an der Technischen Hochschule Deggendorf. Im Interview schätzt er die Lage ein.
Herr Glauner, wie bewerten Sie die Hightech Agenda Deutschland?
Es freut mich, dass die neue Bundesregierung Hightech und Innovation als Schwerpunkt setzt und bis zum Ende der Legislaturperiode mindestens 18 Milliarden Euro in sechs Schlüsseltechnologien, unter anderem KI, investieren möchte. Staatliche Investitionen allein reichen jedoch nicht. Es müssen auch Anreize für private Investitionen geschaffen werden und die Bürokratie reduziert werden.
Deutschland und die EU scheinen bei generativen KI-Modellen, KI-Chips oder Robotik bereits abgehängt. Oder?
Ich sehe nicht, dass wir darin pauschal abgehängt sind, denn Deutschland hat in der KI-Forschung und in der Ausbildung eine gute Ausgangslage: Wir stehen dort weltweit auf Platz 5 und Platz 6. Bei der Anzahl der KI-Unternehmen belegen wir Platz 7. Klar ist aber auch, dass wir noch deutlich mehr tun müssen. Ich war in den vergangenen Tagen im Silicon Valley und niemand wird dort in dem sich massiv verschärfenden internationalen Wettbewerb auf Deutschland oder die Europäische Union warten.
Es gibt ein gutes Vorbild für die Hightech Agenda Deutschland: Durch die Hightech-Agenda Bayern sind in Bayern 1.000 neue Professuren entstanden, insbesondere mit Bezug zu Digitalisierung, künstlicher Intelligenz (KI) und Transfer. Diese Professuren sind mittlerweile zum Großteil besetzt. Mit einer bundes- oder gar EU-weiten Skalierung dieses Ansatzes, Deregulierung und dem Abbau von Finanzierungshürden könnten Deutschland und die EU auch ihre Infrastruktur für generative KI-Modelle und KI-Chips deutlich ausbauen.
Bei welchen Innovationen könnten Deutschland und Europa sich noch als wichtiger Akteur etablieren?
Ich sehe für Deutschland und Europa kurz- und mittelfristig den größten Hebel bei Edge AI, also der Verarbeitung direkt auf einem Endgerät. Hierdurch sinken Latenzzeiten, Kosten und die Abhängigkeit von US-amerikanischen Cloud-Anbietern.
Zudem ist Edge AI aus Sicht des Datenschutzes spannend. Denn Datenschutz ist wichtig für einen Markterfolg. Aber er muss im Einklang mit Innovation stehen. Erfahrungen mit der Datenschutz-Grundverordnung etwa zeigen, dass einzelne Bestandteile davon ein gutes Beispiel sein können.
Was könnte helfen, damit der Transfer aus der Forschung in die Anwendung besser gelingt?
Ausgründungen aus den meisten Hochschulen sind noch viel zu bürokratisch, dauern zu lange und sind von Misstrauen geprägt. Hier ist eine Deregulierung überfällig.
Start-ups sind zudem oft gezwungen, für größere Förderungsrunden in die USA oder den Nahen Osten zu gehen. Nicht weil es zu wenig Geld in Deutschland gäbe, sondern weil zum Beispiel Versicherungen oft nicht in Venture Capital investieren dürfen und das Geld der Kunden in gering verzinste Staatsanleihen investieren müssen. Die von Bundeskanzler Merz im Wahlkampf geforderte Mobilisierung des Kapitals muss nun Realität werden, um solche Hürden abzubauen und mehr Freiheiten zu schaffen. Hierdurch könnten mehr Start-ups in Deutschland bleiben und dauerhaft vor Ort Mehrwert schaffen.
Zudem muss die in den vergangenen Jahren geschaffene Digital-Regulatorik auf den Prüfstand. Der AI Act ist eine von vielen Ursachen dafür, warum Innovationen verlangsamt, verteuert und verhindert werden oder nach außerhalb der EU abwandern. Durch eine vage Risikoklassifikation und praxisferne Anforderungen stehen die Kosten für Compliance und Audits in keinem vernünftigen Verhältnis zu den Entwicklungskosten.
Das betrifft aber nicht nur die kleinen und mittleren Unternehmen. Meine Gespräche bei zum Beispiel Meta in den vergangenen Tagen haben mir verdeutlicht, dass selbst dort die Anpassung und der Betrieb bestimmter KI-Features für den EU-Markt als wirtschaftlich nicht möglich gesehen werden. Man verzichtet dann lieber darauf und bietet diese Features nur außerhalb der EU an. Leidtragende sind am Ende die Nutzer in der EU, die auf diese Features verzichten müssen und dann weniger produktiv sind.
Wie wichtig sind europäische Kooperationen für die Weiterentwicklung von KI-Ansätzen?
Deutschland muss bei solchen Kooperationen eine Führungsrolle einnehmen und den Fokus klar auf eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit legen. Für souveräne und wettbewerbsfähige Cloudlösungen müssen aber auch die Energiekosten in Europa sinken. Ich sehe aktuell noch nicht, dass die Politik dieses Ziel erkannt hat und engagiert verfolgt.
Es gibt momentan in Europa aber auch zu viele verschiedene kleine Förderinitiativen und Kooperationen zu KI. Diese konkurrieren oft gegeneinander und sind in vielen Fällen finanziell zu schlecht ausgestattet. Die Politik muss hier dringend konsolidieren, um weniger, aber schlagkräftigere und besser ausgestattete Förderinitiativen zu etablieren.
Dieser Beitrag verwendet Informationen des Science Media Centers.
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