Deutschland soll zum KI-Standort werden. So wurde es auch vom Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt in einer Hightech Agenda Deutschland skizziert, die kürzlich gestartet ist. Doch kann das gelingen?
Katharina Morik ist pensionierte Professorin für Künstliche Intelligenz an der TU Dortmund und Gründungsdirektorin des Lamarr Instituts für Maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz. Ihre Einschätzungen lesen Sie im Interview.
Frau Morik, wie bewerten Sie die Hightech Agenda Deutschland?
Zunächst begrüße ich natürlich, dass Künstliche Intelligenz, die zukünftig in allen Bereichen vielfältig genutzt werden wird, ein Schwerpunkt deutscher Förderung wird. Positiv ist, dass auch juristische Rahmenbedingungen für Start-Ups und für den Transfer aus der Forschung in die Praxis verbessert werden. Auch das klare Signal für Open Source ist richtig und wichtig. Der zentrale Punkt ist die Stärkung der KI-Spitzenzentren und die Förderung der Vernetzung untereinander.
Die Förderung in Form von Leitprojekten und die neuen Förderprogramme sehe ich aber nicht als zeitgemäß an. Sie führen zu enormem Aufwand in Antragstellung, Begutachtung und Verwaltung sowie zu schwierigen Arbeitsverhältnissen des wissenschaftlichen Nachwuchses. Stattdessen sind langfristige und strukturierte Maßnahmen nötig und die Vergabe agiler Mittel, um in dem dynamischen Feld Schritt halten zu können.
Deutschland und die EU scheinen bei generativen KI-Modellen, KI-Chips oder Robotik bereits abgehängt. Oder?
Deutschland und Europa sind nicht abgehängt. Es gibt hervorragende Spitzenforschung in den nationalen KI-Zentren, Max-Planck-Instituten, Fraunhofer Instituten und Helmholtz-Zentren sowie in dezidierten Lehrstuhlverbünden wie z.B. hessian.AI. Dies sind alles Orte, an denen langfristig investiert wird. Sie bauen alle ihr Netzwerk auf, das in der Region und international, in Forschung und Transfer verankert ist. Gerade die langfristigen Strukturen führen zum Erfolg. In der Robotik sind wir schon weit vorn, bei generativen Modellen fangen wir an und auch für neue Chips sehe ich Potenzial.
Start-ups hatten in den letzten zehn Jahren einen Aufschwung. Heute gibt es über 30 Unicorns — jedes Einhorn ist mehr als eine Milliarde Euro wert. Das nenne ich nicht abgehängt.
Bei welchen Innovationen könnten Deutschland und Europa sich noch als wichtiger Akteur etablieren?
Eingebettete Systeme und Edge AI sind Themen, in denen Deutschland und Europa punkten können. Das kontinuierliche Lernen aus Wahrnehmungen und Handlungen des Systems – sogenanntes Repräsentationslernen – war schon immer ein Ziel der KI. Dazu muss die KI in ein Ding oder einen Prozess in der Welt eingebettet werden. Grundlagenforschung zu kontinuierlichem Lernen, zu Repräsentationslernen und zu lernenden Agenten ist auch in Zukunft ein Thema von großer Bedeutung.
Vielversprechend ist die Spezialisierung auf bestimmte Anwendungen, gerade auch in der produzierenden Industrie – weil die kostbaren Daten der Industrie hier vorhanden sind und weiterhin geschützt bleiben sollten. Auch die Kommunikation der Behörden mit den Bürgerinnen und Bürgern kann durch spezialisierte generative Modelle beträchtlich verbessert werden.
Da KI langfristig so allgegenwärtig sein wird wie jetzt das Internet, entstehen neue Märkte dynamisch. Ich sehe es optimistisch, dass agile Forschung, Entwicklung und innovative Firmen neue Möglichkeiten jeweils entdecken und gestalten werden. Wir können viel erreichen und das müssen wir auch.
Wir sollten vertrauenswürdige KI, Zertifizierungen nach Robustheit, Verlässlichkeit und Energieverbrauch unbedingt weiter ausbauen. Hier ist Europa führend und die Nachfrage wird sich verstärken. Automatische Verfahren zum Generieren von zig Testläufen sind ein aktuelles Forschungsthema. Die Zertifizierung kann so ohne großen menschlichen Aufwand sehr schnell erfolgen.
Was könnte helfen, damit der Transfer aus der Forschung in die Anwendung besser gelingt?
Deutschland handelt zu kurzfristig und zu mutlos. Das ist bei den Firmen genau wie auch bei der Förderung von Start-ups so. Wir sollten aber auch bedenken, dass ein Gigant wie Amazon erst vier Jahre nach dem Börsengang einen Quartalsgewinn erzielte. Davor investierte es in Infrastruktur und günstige Angebote.
Selbst Start-ups, die nicht gelingen, sind eine Erfahrung für junge Fachkräfte, die dann vielleicht zu einem anderen Erfolg führt. Sie bieten schlicht eine Chance auf Realisierung eigener Ideen. Wichtig ist, dass die Firmen sich intern in Richtung KI-Kompetenz strukturieren, Informatikerinnen und Informatiker an Entscheidungspositionen setzen und langfristig eine breite Streuung von KI-Feldern aufbauen.
Langfristige Förderung ist bei dem gesamten Bildungswesen, von Hochschulen bis zu Schulen und sogar Ausbildungswerkstätten die Grundlage für den erfolgreichen Strukturwandel.
Schaut man nicht auf kurzfristige Erfolge, sondern baut auf die vorhandene Kompetenz auf, kann Deutschland mit Europa durchaus eine Spitzenposition erreichen. In allen genannten Bereichen gibt es Kompetenz in Deutschland, die ausgebaut werden kann.
Wie wichtig sind europäische Kooperationen für die Weiterentwicklung von KI-Ansätzen?
Die EU ist das Ökosystem, in dem Deutschland besonders aktiv sein sollte, damit es seinen Platz zwischen den USA und China einnehmen kann. Die immer noch vorherrschende Bevorzugung US-amerikanischer Systeme muss in allen Informatikbereichen beendet werden. Dass wir uns jahrzehntelang auf US-amerikanische Produkte verlassen haben, macht es jetzt sehr teuer, das Ökosystem aufzubauen. Es ist aber für die Zukunft nötig. Die KI-Fabriken sind nur ein erster Schritt.
Dieser Beitrag verwendet Informationen des Science Media Centers.
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